Analyse: Google steigt zur Patent-Supermacht auf

New York/Berlin (dpa) - Jetzt baut Google also auch Handys. Die erste Aufregung um die überraschende Übernahme des Mobilfunk-Pioniers Motorola durch den Internet-Primus hat sich gelegt - die Fragen bleiben.

Blättert Google wirklich 12,5 Milliarden Dollar für einen kompletten Handy-Hersteller auf den Tisch, nur um sich Munition für die aktuellen Patent-Kriege um seine Android-Plattform zu besorgen? Oder steckt da mehr dahinter? Warum zahlt Google den stattlichen Preisaufschlag von 63 Prozent auf die Aktie von Motorola Mobility?

Ein Zeichen der Verzweiflung? Will der neue Google-Chef Larry Page den Rivalen zeigen, wie weit er gehen wird, um das strategische Projekt Android zu verteidigen? Oder aber musste Google schnell und großzügig zuschlagen, weil schon Konkurrenten ihre Fühler nach Motorola ausgestreckt haben?

Zumindest letzteres soll tatsächlich der Fall gewesen sein. Unter anderem Googles Erzrivale Microsoft habe bereits seine Kreise um das Mobilfunk-Urgestein gezogen, berichtet der gewöhnlich gut informierte Technologie-Blogger Om Malik. Nach der Niederlage gegen Apple und Microsoft im Bieterwettstreit um das Patent-Portfolio des pleitegegangenen Netzwerkausrüsters Nortel hätte sich Google kein weiteres Versagen leisten können. Der Anreiz, Motorola Mobility um jeden Preis zu kriegen, war groß.

Denn Google braucht Patente - möglichst viele und eher heute als morgen. Die aktuelle Situation in der Tech-Branche und besonders in der Mobilfunk-Industrie wird von Beobachtern oft mit dem Kalten Krieg verglichen und die Patente spielen dabei die Rolle von Atomwaffen. Es gibt die großen Atommächte wie Microsoft, Nokia, IBM oder Apple mit ihren vielen tausenden Patenten und zwischen ihnen herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens. Jeder weiß, dass die anderen genug Patente für Gegenklagen haben. Meist öffnen die Firmen ihre Patente mit Abkommen für einander. Und kommt doch zum Streit wie jüngst zwischen Apple und Nokia, gelingt irgendwann eine Einigung.

Google steigt erst mit der Motorola-Übernahme in den Club der Patent-Supermächte auf. Bisher hatte der Internet-Konzern als relativer Neuling im Mobilfunk-Geschäft kaum Patent-Verhandlungsmasse gegen die Android-Klagen von Apple und Microsoft. Mit Motorola ändert sich das schlagartig: Der Erfinder des ersten Handys im Taschenformat hat rund 17 000 Patente und 7500 Patentanträge sowie eine Entwicklungsabteilung, die immer neue Ideen produziert.

So drehte sich auch in Googles Ankündigungen zur Motorola-Übernahme alles um mehr Patentschutz für Android. Doch der deutsche Patent-Experte Florian Müller, der die Streitigkeiten in der Mobilfunkbranche aufmerksam beobachtet, hat daran Zweifel. „Es wäre ein Fehler, die Übernahme als Patent-Geschäft zu betrachten“, kommentierte er. Schließlich habe das große Patent-Portfolio von Motorola die Wettbewerber Apple und Microsoft nicht von Klagen gegen den Handy-Hersteller abgehalten.

„Es geht darum, dass Google die Kontrolle über Android maximieren will“, schrieb Müller in seinem Blog. Andere Android-Partner wie Samsung, HTC und LG hätten keine Chance, auf Augenhöhe mit einem zu Google gehörenden Motorola-Konzern zu konkurrieren. Auch Gartner-Analyst Michael Gartenberg zweifelt an der Eintracht der Partner. „Niemand hatte jemals Erfolg damit, eine Software zu lizenzieren und gleichzeitig mit den Lizenznehmern zu konkurrieren“, mahnte er im Blog „All Things Digital“.

In den vergangenen Wochen gab es schon einige Schlagzeilen um Motorola, die jetzt besonders brisant wirken. So wirbelte Motorola-Mobility-Chef Sanjay Jha viel Staub auf als er andeutete, das Unternehmen könnte seinen Patent-Arsenal auch gegen andere Android-Hersteller richten. Der Apple-freundliche Technologieblogger John Gruber vermutet, dass Motorola Google die Pistole auf die Brust gesetzt hat und damit einen hohen Preis und die Übernahme des gesamten Unternehmens erzwang.

Interessant ist auch, dass die Vertragsstrafe, die Google bei einem Scheitern der Übernahme an Motorola zahlen muss, nach Informationen der Finanznachrichtenagentur Bloomberg außergewöhnlich hoch ist: 2,5 Milliarden Dollar. Möglicherweise sichert sich Motorola damit für den Fall ab, dass Wettbewerbshüter den Deal noch zum Platzen bringen.

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