Das Leben ist ein Spiel - Games als Motivationshilfe

Berlin (dpa/tmn) - Bonuspunkte fürs Putzen und eine Trophäe für drei Tage ohne Zigarette: Gamification bringt Elemente aus Computerspielen in den Alltag - und kann die Motivation steigern, Unangenehmes anzugehen.

Man sollte dabei bloß nicht auf Datensammler hereinfallen.

Die Ausdauer von Computerspielern ist bemerkenswert. Da wird auch die letzte Ecke einer Spielwelt nach versteckten Gegenständen abgesucht - und der ganze Aufwand nur, um eine Auszeichnung freizuschalten. So viel Motivation wäre auch im realen Leben wünschenswert. Und tatsächlich gibt es Apps und Webseiten, die mit Levels und Auszeichnungen versuchen, nervige Alltagsaufgaben oder die Joggingrunde zu versüßen. Der Fachbegriff dafür heißt Gamification.

Ein Beispiel dafür ist die iOS-App Epic Win (2,69 Euro). Wie im Computer-Rollenspiel bekommt der Nutzer eine Auftragsliste, allerdings mit Zielen wie „Müll rausbringen“. Hat er etwas erledigt, verbessert er die Eigenschaften seiner virtuellen Figur. Die Android-App RLRPG (kostenlos) hat ein ähnliches Prinzip, bietet aber weniger Funktionen und blendet Werbung ein.

„Das Grundprinzip von Gamification ist eigentlich uralt“, sagt Nora Stampfl, die das Buch „Die verspielte Gesellschaft“ geschrieben hat. Viele Webseiten wie Foren belohnen besonders eifrige Nutzer schon lange mit Titeln und Auszeichnungen. Selbst die altbekannten Bonusmeilen oder Kundenkarten sind im Grunde Gamification: Für jeden Flug oder Einkauf gibt es Punkte, für viele Punkte eine Belohnung oder auch einen Status. „Das ist wie beim Esel mit der Karotte vor der Nase“, erklärt Stampfl. Dauerhaft funktionierten solche Ansätze aber oft nicht - vor allem, wenn sie allgegenwärtig sind: „Irgendwer hat immer die größere Karotte, der Effekt nutzt sich auf Dauer ab.“

„Schlechte Gamification ist, wenn eine Anwendung nur auf einen Faktor wie die Belohnung setzt“, findet auch Ibo Mazari, der sich als Blogger und Unternehmensberater mit Gamification beschäftigt. Gute Anwendungen beinhalteten immer mehrere spielerische Elemente: „Wichtig ist zum Beispiel dass es eine Geschichte gibt und eine Herausforderung, die ich überwinden muss.“

Mit ein paar Punkten und Pokalen fürs Putzen wird die Wohnung also auf Dauer nicht sauberer. „Eine Anwendung muss aus sich heraus so verlockend sein, dass ich um des Spielen willens weitermache und so das gewünschte Verhalten zeige“, sagt Nora Stampfl. Ein gutes Beispiel dafür sei zum Beispiel die kostenpflichtige iOS-, Android- und Windows-Phone-App „Zombies, Run!“ (6 bis 7 Euro). Die motiviert Jogger mit einer Horde Untoter, die Füße in die Hand zu nehmen. Die sportliche Flucht wird in eine Art dramatisches Hörspiel verpackt, gelegentliche Zwischensprints inklusive.

Zwei Beispiele für Gamification-Anwendungen im Internet sind englischsprachige Seiten wie www.slimkicker.com oder www.superbetter.com. Erstere will beim Abnehmen helfen, die zweite unter anderem beim Überwinden von Lebenskrisen. Hindernisse werden wie Spielegegner als „Bad Guy“ bezeichnet, die erledigt werden müssen. Auf der Fitnessseite www.fitocracy.com richtet sich der Nutzer ein Profil, den sogenannten Hero ein, um fortan seine Leistungen mit denen von Freunden und Fremden zu messen. Für Michael Jäger vom Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) ist besonders dieser Wettbewerbsaspekt entscheidend für die Motivation: „Rankings sind eigentlich immer besser als eine abstrakte Belohnung, weil dabei meine persönliche Leistung berücksichtigt wird.“

Nicht jeder Motivationsschub durch Gamification ist zwingend eine tolle Sache. „Der Weg von der Motivation zur Manipulation ist nicht sehr weit“, warnt Nora Stampfl vor einer möglichen Gefahr. „Die Frage ist immer: Möchte ich selber mein Verhalten ändern oder möchte das jemand anders?“

Ein weiteres Problem: Datensammler könnten mit Gamification-Diensten auf Beutezug gehen. Denn wer sich von einer Smartphone-App oder im Netz helfen lassen will, muss sehr viel Persönliches über sich preisgeben. Je nach Angebot sind das zum Beispiel Daten über die eigenen Finanzen, das Gewicht oder die Gesundheit. Bei Apps ist es daher sinnvoll, vor der Installation genau hinzusehen: Was fragt die Anwendung ab, wo schickt es die Informationen hin? Bei Webseiten hilft ein Blick in die Datenschutzerklärung oder die Geschäftsbedingungen des Anbieters.

Solche Vorsichtsmaßnahmen könnten in Zukunft noch wichtiger werden. Vor allem auf mobilen Plattformen steht der Gamification-Trend gerade erst am Anfang, glaubt Ibo Mazari: „Da wird natürlich auch viel Schrott und Nervtötendes dabei sein. Aber eben nicht nur.“

Michael Jäger sieht zukunftsträchige Anwendungen für Gamification vor allem im Bildungsbereich. „Mit der richtigen technischen Unterstützung wird das im Schulunterricht sicher gut funktionieren“, sagt der Psychologe.

Literatur:

Nora S. Stampfl: Die verspielte Gesellschaft. Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels, Heise Zeitschriften Verlag, 120 Seiten, 14,90 Euro, ISBN-13: 987-3936931778

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