Die Furcht vorm Shitstorm: Deutsche Marken im sozialen Netz

München (dpa) - Linda Gieswein ärgert sich über die „Feucht-Comforttücher Quattro SparPack“ von Rossmann. Die einzelnen Tücher seien „dumm ineinandergelegt“, sodass man oft zwei zugleich aus der Packung ziehe.

Es ist Freitag, 6.54 Uhr, als die Kundin ihren Beschwerdetext auf der Facebook-Seite von Rossmann auf die Pinnwand lädt. Schon sechs Minuten später kommentiert die Drogerie den Eintrag: Das sei ja „wirklich nervenaufreibend“, man werde das Anliegen weitergeben.

Anfragen und Kommentare laufen minütlich bei deutschen Unternehmen ein. Der Weg über das Telefon gilt oft als veraltet, Kunden fordern in Online-Netzwerken Rat, Tat, Erklärung und Entschuldigung ein. Kommt nichts zurück, droht das Ungemach der Community. Auf Facebook, Twitter oder Google+ sind die Wege kurz, eine Notiz ist schnell geschrieben - öffentlich und für alle einsehbar. Eine einzelne Beschwerde kann so weite Folgen haben.

Die Angst der Unternehmen vor einem Imageschaden ist groß, sagt Experte Bernd Gillich. Er führt die Agentur Social Media München und koordiniert die Auftritte mittelständischer Betriebe in Sozialen Netzwerken. Viele hätten Angst vor negativen Beiträgen auf ihren Internetseiten.

Besonders gefürchtet ist der so genannte Shitstorm, ein entfesselter Empörungssturm, bei dem sachliche Kritik ebenso wie Pöbeleien auf die Unternehmen hereinprasseln. Manche Firmen stellten die Kommentarfunktion deshalb einfach ab, sagt Gillich.

70 Prozent der Unternehmen seien Anfänger im Bereich Social Media, schätzt der Berater. Die Bedeutung des Mediums aber steigt. Bis zu 30 000 Euro betrügen die Etats bei seinen mittelständischen Kunden im Jahr. „Heute ist der Markt da“ - trotz der Furcht vor den eigenen Kunden. Denn das Netz bietet auch die Chance, der Öffentlichkeit ein möglichst sympathisches Bild von sich zu vermitteln und direkt mit Kunden ins Gespräch zu kommen.

Versicherungen und Banken haben es dabei besonders schwer in den Netzwerken. Es klafft eine Lücke zwischen dem lockeren Umgangston im Internet und dem seriösen Image eines Versicherers.

„Der Spagat ist nicht einfach“, sagt Lars Mielke, Social Media Manager bei der Allianz in München. Viele Kunden griffen zudem nur in die Tasten, wenn sie sich ärgerten. Das Unternehmen versucht, mit seinen Einträgen positive Stimmung zu schaffen. „Ohne eigene Inhalte wäre es einfach nur eine Meckerbox“, erklärt Mielke.

Vor dem Aufstieg der Sozialen Netzwerke sammelten sich Nutzerbeschwerden häufig in den Kommentarbereichen von Fachseiten. Der Internet-Anbieter 1&1 wurde dort mit Beschwerden konfrontiert, erinnert sich Andreas Maurer, der das Social-Media-Team des Unternehmens leitet. „Das Beste, was wir als Unternehmen tun können, ist, in den Dialog einsteigen“, sagt er.

Das setze sich nun bei Facebook und Co. fort. Die Situation habe sich mittlerweile etwas gedreht: Einige Kunden hätten begonnen, das Unternehmen bei unberechtigten Beschwerden zu verteidigen. Manche beantworten Fragen anderer Kunden selbst, erzählt Mauerer, und entlasten so die bezahlten Kräfte.

Der Umgangston im Netz kann für Unternehmen eine Umstellung bedeuten. „Die Firmen sollen so mit ihren Kunden sprechen, wie die mit ihnen sprechen“, empfiehlt Mirko Lange von der PR-Agentur Talkabout. Wenn der Kunde schon bei der Ansprache duzt, dürfe man zurückduzen. Sonst sei das „Sie“ immer noch die sichere Variante.

Bernd Gillich geht ein Stück weiter. „Der Social-Media-Mensch da draußen will ein 'Du', der will kein 'Sie'“, sagt er. Im Internet herrsche ein jugendlicher Kommunikationsstil, die Kommentare der Unternehmen erinnerten oft an Behördenbriefe. Andere antworteten nicht schnell genug. Eine Stunde Verzug dürfe sein, mehr nicht.

Einige große deutsche Unternehmen können sich scheinbar noch gar nicht mit dem Web 2.0 anfreunden. „Ich wüsste nicht, dass wir bei Facebook aktiv wären“, sagt eine Sprecherin von Aldi Nord - der Discounter ist damit nur ein prominentes Beispiel.

Andere schafften den Sprung zwar, blamierten sich dann aber kräftig. So lobte der Konsumgüterhersteller Henkel im Jahr 2011 für seine Spülmittelflaschen Pril auf seiner Facebook-Seite ein Design-Wettbewerb mit Abstimmung aus. Den Favoriten der Nutzer, eine Kreation mit Grillhähnchen auf dem Etikett, fand das Unternehmen wohl unpassend und ließ eine Jury andere Designs auswählen. Der Shitstorm folgte unmittelbar.

Schlauer machte es das Versandhaus Otto. Als bei einem Online-Modelcontest unter 50 000 Bewerbern ein als Frau verkleideter BWL-Student unter dem Namen „Der Brigitte“ das Rennen machte, fackelte das Unternehmen nicht lange. „Der Brigitte“ wurde zum Sieger gekürt. Die Community jubelte.

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