Digitalfotos im Retro-Stil: Charme der Unzulänglichkeit

Berlin (dpa/tmn) - Retro ist angesagt: In den App-Märkten der Smartphones boomen Anwendungen, die Bildern den Charme der Vergangenheit verpassen. Auch digitale Kompaktkameras mischen mit im Nostalgie-Geschäft.

Experten bezweifeln aber, dass damit mehr als Schnappschüsse möglich sind.

Eine Milliarde Dollar zahlte Facebook 2012, um den App-Anbieter Instagram zu kaufen. Irgendwie kurios, denn Nutzer können mit der mobilen Anwendung lediglich Fotos einen sogenannten Vintage-Look verpassen und ihre Werke gleich nach dem Auslösen über Facebook oder Twitter im Netz präsentieren. Doch hinter dem Kauf steckt Kalkül, denn Retro ist „in“.

Ganz neu ist dieser Trend nicht, schon in den 90er Jahren gab es die sogenannte Lomowelle: Damals zogen Horden von Jugendlichen mit alten Sowjet-Kompaktknipsen bewaffnet durch die Städte, stets bemüht, möglichst schräge Bilder in möglichst mieser Qualität zu schießen. Und genau das kommt auch heute wieder bei jungen Smartphone-Fotografen an, sagt Professor Edgar Idler von der Design Akademie Berlin: „Der größte Reiz bei Retro geht vom Charme der Unzulänglichkeit aus. Menschen, die sich für Retro-Fotografie interessieren, wollen nicht mehr aus Millionen digitalen Bildern das eine gute auswählen. Sie reizt es, der Technik ausgeliefert zu sein.“

Auf den App-Plattformen für Android und Apple-Geräte buhlen zahlreiche Anwendungen um die Gunst der Nutzer. Teuer sind sie nicht, aber nur selten gratis. Alle werben damit, Bilder mit unscharfen Rändern, unerklärlichen Lichtreflexen oder ausgebleichten und grobkörnigen Farben zu knipsen. Grob kann man sie in zwei Kategorien unterteilen: In diejenigen, die Fotos vor dem Auslösen die Nostalgieoptik verpassen oder erst nachher.

Die meisten arbeiten nach dem ersten Prinzip. Beispielsweise Hipstamatic, eine sehr detailverliebte App für iOS, die unter anderem das Fiepen des Blitzes und das Rattern der Filmrolle imitiert. Verschiedene Effekte lassen sich wild kombinieren - wer mehr will, muss zahlen. Die Fotos können direkt per Mail verschickt oder auf Flickr, Facebook oder Tumblr veröffentlicht werden. Die Android-App, die Hipstamatic am nächsten kommt, heißt Retro Camera und ist kostenlos. Auch sie bietet mit verschiedenen Kamera-Gehäusen und Filmen Retro-, Vignetten-, Polaroid- und sonstige Effekte.

Nach dem einem ähnlichen Prinzip wie Hipstamatic arbeiten die iOS-Programme Incredibooth (0,79 Euro) und Snappr (1,59 Euro). Letztere imitiert Fisheye-Objektive und verzerrt so alles, was ihr vor den Sucher kommt. Fünf Linsen und ein Blitz stehen zur Wahl, die Auflösung ist allerdings gering, Incredibooth liefert in der Regel bessere Qualität. Die App imitiert einen der bekannten Fotoautomaten mit Kabine, die damit erstellten Fotostreifen gibt es in bunt und schwarz-weiß, verziert mit Kritzeleien oder Goldglitter.

Gratis und weit verbreitet ist dagegen Instagram (iOS / Android), das Facebook so viel Geld wert war. Bilder können mit 18 Filtereffekten in Retro-Werke verwandelt werden - etwa mit mehr oder weniger Unschärfe, in Schwarz-Weiß oder ausgebleichten Farben. Die Mitgliedschaft in der Instagram-Community ist gratis, aber verpflichtend: Ohne funktioniert die App nicht.

Ebenfalls kostenlos und für beide Smartphone-Systeme erhältlich ist die App PuddingCamera (für iOS / für Android). Sie bringt neun Kameratypen mit, dazu kommen acht Filme plus ergänzende Filter, Rädchen zur Belichtungseinstellung und ein Blitz. Die Bildqualität lässt sich auf bis zu 1200 mal 1200 Pixel hoch regulieren.

Doch nicht nur Smartphones verwandeln sich mit passenden Apps in alte Knipsen: Auch Digitalkameras haben immer öfter spezielle Retrofilter an Bord. Bei Canons Powershot-Reihe heißt die Funktion beispielsweise Spielzeug-Kamera und ist dort unter den Kreativ-Filtern zu finden. Auch Kodak und Sony haben solche Effekte integriert. „Im Prinzip machen sie alle nichts anderes als die Apps“, sagt Hans Starosta vom Centralverband Deutscher Berufsfotografen. Begeistert ist der Foto-Experte von beiden Varianten nicht: „Wenn ich auf einer Party auf alt gemachte Bilder schießen will, ist das mit den Filtern lustig. Doch Profiqualität erreicht das nicht.“

Wer mehr will, komme an Bildbearbeitungsprogrammen nicht vorbei, rät Starosta. Denn dort kann der Nutzer einem Foto später zielgerichtet genau den Look verpassen, den er haben will. Am Ende heißt es also doch wieder: Jeder muss selbst wissen, was ihm Spaß macht. „Es gibt nun mal verschiedene Spieltypen und die brauchen verschiedene Produkte“, sagt Edgar Idler. Wer ernsthaft Retro-Bilder schießen wolle, lande früher oder später ohnehin wieder bei richtigem Vintage, also echten analogen Kameras.

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