Piraten suchen auf Parteitag Ausweg aus dem Formtief

Bochum (dpa) - Piraten auf dem Tiefpunkt: Krach im Bundesvorstand, Absturz in den Umfragen von zweistelligen Werten auf etwa fünf Prozent. Jetzt soll ein Programmparteitag die Wende einleiten. Es gehe um ein Signal nach außen wie nach innen, sagt der Berliner Fraktionsvorsitzende Christopher Lauer.

Anstatt sich „im Klein-Klein zu verzetteln“, müssten die Inhalte der Partei in die Parlamente gebracht werden. Das sind längst nicht mehr allein die Anliegen der Internet-Szene. Die Versammlung in Bochum soll vor allem die Wirtschaftspolitik in den Blick nehmen.

Lauer spricht von einer historischen Chance: „Die durch das Internet sozialisierte Generation kann den Marsch durch die Institutionen antreten.“ Das aber dürfte weit schwerer werden als beim letzten Parteitag in Neumünster gedacht. Damals wählten die Piraten im April einen neuen Bundesvorstand, der im Oktober kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die beiden Beisitzer Julia Schramm und Matthias Schrade erklärten ihren Rücktritt. Schrade zeigte mit dem Finger auf Johannes Ponader - mit dem Politischen Geschäftsführer sei ihm eine Zusammenarbeit nicht möglich.

Mühsam hielt der Vorsitzende Bernd Schlömer danach die Reihen zusammen. Auch er äußerte sich kritisch über Ponader, traf sich dann aber zu einer bereinigenden Aussprache mit ihm. Seitdem hält sich Ponader in der Öffentlichkeit mehr bedeckt. Der BuVo, wie die Partei ihren Bundesvorstand kurz nennt, will die Personalquerelen vom Parteitag fernhalten. Aber alle wissen: Verlauf und Ergebnisse der Versammlung am kommenden Wochenende sind völlig offen.

„Der Parteitag ist autonom“, sagt der scheidende Beisitzer Matthias Schrade, genannt „Kungler“, der sich um die Organisation gekümmert hat. Er rechnet mit rund 2000 Teilnehmern, Delegierte gibt es nicht. Jedes Mitglied kann auch noch spontan vorbeikommen und ist voll stimmberechtigt.

„Ich glaube nicht, dass die jüngsten Spannungen im Bundesvorstand den Parteitag beeinflussen“, sagte Schrade nun. „Die Leute sind heiß darauf, Programm zu machen, und das werden sie auch tun.“ Die Mitglieder haben mehr als 650 Anträge eingereicht, die bunt nebeneinander stehen, das Plädoyer für sauberes Trinkwasser folgt auf die Forderung nach Abschaffung des Beamtentums. Die Eingaben haben einen Umfang von mehr als 1400 Seiten.

Ein Ergebnis ist jetzt schon sicher: Die Anträge werden nicht alle behandelt werden können. Es kann also gut sein, dass die Piraten ohne umfassendes Programm in die Bundestagswahl gehen. Schrade hält das für nicht so tragisch: „Nach meiner Überzeugung werden uns die Leute nicht wegen einer bestimmten Position in einem Themenbereich wählen, sondern weil sie einen neuen Politikstil wollen.“

Doch im mitunter hitzigen Twitter-Biotop machen sich Parteimitglieder weiter gegenseitig an und ziehen übereinander her. „Der Pöbelpirat ohne jede Ahnung ist übrigens ...“ - solche Beschimpfungen sind nicht selten. Als Lauer sich für eine ständige Mitgliederversammlung im Internet an Stelle herkömmlicher Parteitage ausspricht, weist das der stellvertretende Vorsitzende Sebastian Nerz in einem Tweet schroff zurück: „Undemokratischer Unsinn“.

Parteichef Schlömer versucht es mit demonstrativer Gelassenheit. Er, der sich gerne als „Chef-Controller“ der Piraten bezeichnet, also als jemand, der den Laden organisatorisch zusammenhält und größere Pannen verhindern soll, verkörpert das Dilemma der Partei. Die Führung soll nicht führen, die Basis soll die Richtung vorgeben.

Das sind mehr als 34 000 Mitglieder. Ihre Bedürfnisse sind so bunt wie die 152 Arbeitsgruppen - von der AG „Zukunft auf dem Lande“ über die „Queeraten“ bis zur AG „Nuklearia“. Bunt soll auch der Parteitag werden, wenn es nach der Brandenburger Piratin Anke Domscheit-Berg geht: Sie ruft zum Stricken auf und erklärt auf Twitter: „man kann übrigens alles umstricken/-häkeln, stuhlbeine, stecker, stehmikrofone, gerueste, gelaender“.

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