Trauern im Internet: Kirche sucht nach glaubwürdigem Konzept

Karlsruhe (dpa) - Ewiges Leben - im Internet kann es Wirklichkeit werden. Immer mehr Menschen trauern digital um ihre Angehörigen und sichern ihnen damit posthum Präsenz. Entsprechende Angebote bieten vor allem private Unternehmen.

Die Kirchen halten sich bislang zurück. „Das ist ein hochsensibles Thema“, sagt der Internetbeauftragte der Evangelischen Kirche in Baden, Oliver Weidermann. „Wenn wir virtuelle Friedhöfe anbieten, müssen wir höchste Seriosität, Verlässlichkeit und Datensicherheit bieten.“

Die Badener erarbeiten zurzeit mit der Rheinischen Kirche ein Konzept für ein solches Angebot. Außerdem soll ein Bistum ins Boot geholt werden. „So ein Gedenkort muss überkonfessionell sein.“ Im kommenden Jahr soll das Gedenkportal eröffnet werden - wenn bis dahin alle offenen Fragen geklärt sind.

Unbestritten ist, dass Menschen, die sich einen bedeutenden Teil ihres Lebens in virtuellen Räumen bewegen, auch dort ihre Trauer ausleben wollen. „Das merkt heute jeder Pfarrer in seiner Gemeinde: Wenn junge Menschen sterben, wird es ganz wichtig, was sie zuletzt getwittert oder in Facebook geschrieben haben“, erzählt Gernot Meier, Studienleiter der Evangelischen Akademie in Bad Herrenalb. Deshalb wundert es ihn nicht, dass Angebote wie „www.strassederbesten.de“ oder „www.stayalive.com“, für die der frühere „Focus“-Chef Helmut Markwort wirbt, ihre Kunden finden.

Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass unseriöse Anbieter in dem Markt unterwegs sind, die Daten weitergeben oder Werbung auf die Gedenkseiten stellen, von der sich die Angehörigen „freikaufen“ können. „Wir haben es mit Menschen in Trauer zu tun, die in dieser Extremsituation auch schon mal unüberlegt handeln“, gibt Meier zu bedenken.

Ein kirchliches Angebot muss deshalb die Trauernden auch vor sich selbst schützen, ist Ralf Peter Reimann überzeugt. „Manche wissen nicht, was es für Folgen haben kann, wenn sie zu viel Privates freigeben“, sagt der Internet-Pfarrer der rheinischen Landeskirche. Außerdem gehöre zu einem solchen Angebot die Möglichkeit, sich mit einem Seelsorger auszutauschen und den christlichen Umgang mit Trauer zu erspüren. „All das haben wir zu großen Teilen schon mit www.trauernetz.de umgesetzt.“

Jetzt fehlt noch der digitale Friedhof. Wie könnte er aussehen? Ein Facebook für Tote wie in Stayalive oder Bilder des Verstorbenen, vor denen die Trauergemeinde virtuelle Kerzen anzünden kann? Diese Art des Trauern ist für Meier von „analogen“ Vorstellungen geprägt. „Das Netz ist noch auf der Suche, wie digitale Trauer überhaupt aussieht. Es ist bislang nicht absehbar, wohin sich das entwickelt.“

Deshalb sieht Weidermann ein kirchliches Trauerportal zunächst als Ergänzung zur Beerdigung in der realen Welt. „Es beginnt erst dann, wenn der Grabstein gesetzt ist, wenn aus Trauer Erinnern wird.“ Dann könnten die Angehörigen ihre Fotos und Kondolenzbücher hochladen und mit Internetseelsorgern und Selbsthilfegruppen in Kontakt kommen.

Ein solches Angebot birgt für ihn etliche Angriffspunkte. „Das fängt damit an, wer eigentlich das Recht an dem Gedenken hat: Der Ehemann oder ein anderer geliebter Mensch? Und was passiert, wenn die Familie zerstritten ist?“ Deshalb müssten alle Einträge kontrolliert werden.

Nicht zuletzt beschäftigen die Theologen grundsätzliche Fragen wie: Ist ein Toter, der viele Klicks verzeichnet, mehr wert als einer, der nur wenig Reaktionen hervorruft? „Diesen Eindruck müssen wir auf jeden Fall verhindern, denn für uns zählt jeder Mensch gleich viel“, sagt Reimann.

Und: Ist Trauer im Internet überhaupt vergänglich? „Grabsteine verwittern, das Vergessen setzt ein und gibt den Trauernden Freiheit für ein neues Leben“, sagt Reimann. Was aber passiert, wenn der Verlust auf ewig festgehalten wird - oder zumindest solange, wie der Betreiber des Angebots solvent ist? Das ist auch für Meier eine der entscheidenden Fragen. „Sie zeigt, dass wir es mit ganz neuen Phänomenen zu tun haben, die neue Formen der Trauer hervorbringen werden.“

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