Amokläufer zahlt es allen heim

Das Stück „Ich knall euch ab!“ ist nach Winnenden von erschreckender Aktualität.

Krefeld. "Ich werde jeden töten, der mein Leben kaputt gemacht hat. Denkt an meine Worte", sagt der junge Mann in schwarzer Jeans und schwarzer Kapuzenjacke.

Er steht mitten im Großen Saal der Krefelder Fabrik Heeder und ist einer von 15 jugendlichen Darstellern des Theaterstücks "Ich knall euch ab!" nach dem Roman des amerikanischen Autors Morton Rhue.

Die Aufführung hat durch den Amoklauf von Winnenden eine erschreckende Aktualität gewonnen. Und so beobachten nicht nur zwei Schulklassen und mehrere Lehrer das Geschehen im Krefelder Kinder- und Jugendtheaterzentrum Kresch, auch Fernsehteams sind vor Ort.

Eine Woche vor der Tat hatte die Theaterleitung beschlossen, die drei Jahre alte Produktion wieder in den Spielplan zu nehmen. Von den Ereignissen in Winnenden wurde sie dann überrascht. "Ich bin immer wieder sehr erschreckt, wenn so etwas passiert", erklärt nach der Aufführung Regisseurin Anna Brass.

Das Kresch lässt seine Zuschauer mit dem Stoff nicht allein. Nach den Aufführungen werden in Kooperation mit dem städtischen Schulamt und dem Kommissariat Vorbeugung der Krefelder Polizei Gespräche angeboten. An diesem Abend sind es Schulrat Detlev Stein und Kommissar Jörg Grothus, die den Austausch mit dem Publikum suchen.

Roman und Stück erzählen die fiktive Geschichte eines Amoklaufs zweier Schüler an einer US-Highschool. Die Täter kommen zu Wort, eine Mitschülerin, die beide kannte, berichtet über die Tat und reflektiert höchst emotional die Hintergründe.

Die Regisseurin mixt die Darstellungsebenen: chorisches Sprechen, realistische Dialogszenen, professionell nachgestellte Schlägereien, choreographierte Sequenzen. "Ich gestehe es: Ich habe keine Hoffnung." Dieses Brecht-Zitat steht am Anfang und gibt die Richtung vor.

In nur 40 Minuten wird das Thema energiereich und komplex behandelt. Es wird deutlich, dass ein Amoklauf nur das Ende einer Entwicklung ist. "Ich finde es gut, dass die Täter nicht nur als Monster dargestellt werden", findet später eine jugendliche Zuschauerin.

Das Stück zeigt, wie die Täter selbst zuvor Opfer anderer Mitschüler werden. Sie werden gedemütigt, terrorisiert und verprüpgelt. Sie beschließen, es allen heimzuzahlen und Lehrer, Schüler, schließlich sich selbst umzubringen.

Doch die Tat wird damit nicht entschuldigt. Das Stück liefert klugerweise keine einfachen Antworten auf die drängende Frage, die auch nach Winnenden immer wieder laut wurde: "Warum?"

Die Aktualität des Stücks ist frappierend. "Hätten nicht so viele Leute Waffen zu Hause, wäre das nie passiert", heißt es etwa. Sofort fühlt man sich daran erinnert, dass in Winnenden der Täter mit einer Waffe seines Vaters, zu der der Jugendliche nach dem Gesetz keinen Zugang hätte haben dürfen, seine Tat beging.

Schulrat Stein nennt nach der Aufführung Amokläufe "Großschadensereignisse, die nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. Auch Kommissar Grothus lenkt das Augenmerk auf die Gewalt, die alltäglich an den Schulen stattfindet: in erster Linie Mobbing, aber auch Prügeleien.

"Da lag einer schon am Boden, und der andere hat ihn noch getreten", berichtet ein Schüler aus dem Schulhof-Alltag. Eine Schulkameradin erzählt: "Viele benutzen beleidigende Ausdrücke, ohne darüber nachzudenken, was das bedeutet."

Ein junges Ensemble-Mitglied hat durch die Arbeit am Stück gelernt: "Ich sehe das Thema Gewalt nicht mehr so locker, versuche, nicht mehr wegzusehen."

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