Das Elend zieht in die Siedlung ein

In Duisburg-Hochfeld herrscht Untergangsstimmung. Der Stadtteil braucht dringend Hilfe.

Das Elend zieht in die Siedlung ein
Foto: Caroline Seidel

Duisburg. Manchmal reicht ein Blick auf den Briefkasten. Über gesplitterten Glasbausteinen befindet sich eine silberne Metallplatte mit acht Briefschlitzen. Aber Namensschilder gibt es nicht. Stattdessen wurden mit schwarzem, blauem und rotem Edding-Stift Namen auf, unter und über die Schlitze gekritzelt. Es scheint hohe Fluktuation zu geben. Um die Ecke am Skala-Stübchen hängt ein blauer Zettel: „Achtung: Dieser Raum ist kameraüberwacht! Hier ist KEINE öffentliche Toilette. Hier ist KEIN öffentlicher Aschenbecher.“

Das Elend zieht in die Siedlung ein
Foto: dpa

Man sieht: Duisburg-Hochfeld ist keine heile Welt. Gründerzeitbauten verfallen, viele Fenster sind kaputt, aus einigen Hausfluren dringen Gerüche, die auf eine problematische Hygienesituation schließen lassen. Dabei haben die Bewohner und die Stadt viel getan, um den Stadtteil trotz des Strukturwandels nach vorne zu bringen. 1600 leerstehende Wohnungen wurden abgerissen, eine Grünanlage mit Sportmöglichkeiten entstand. Am Rhein gibt es einen weitläufigen Park mit Blick auf Industriedenkmäler. Hochfeld entstand mal als Siedlung für Tausende Arbeiter aus Werken wie der Vulkan-Hütte.

Günter Braun, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg.

„Die Stimmung ist gekippt“, sagt Günter Braun, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg. „Wir brauchen schnelle, massive Unterstützung.“ Neben ihm steht Elisabeth Pater vom kommunalen Integrationszentrum. In vielen von Rumänen und Bulgaren bewohnten „Problem-Immobilien“ gebe es kein Wasser und keinen Strom. „Wir haben enorme sprachliche Barrieren.“ Seit zwei Jahren gibt es einen starken Zustrom. Bei 18 000 Einwohnern in Hochfeld sind die Bulgaren mit 2400 schon die größte Gruppe, auch 1000 Rumänen leben inzwischen hier.

Anfang des Jahres hatte die CSU mit der Parole „Wer betrügt, der fliegt“ eine hitzige Debatte über „Sozialmissbrauch“ angezettelt. Ein Staatssekretärsausschuss wurde eingerichtet, und das Kabinett wird nun am Mittwoch Korrekturen und Finanzmaßnahmen beschließen. Aber EU-Bürger, die betrügen, können weiterhin nicht so leicht fliegen, nur in besonders schweren Fällen und bei krimineller Täuschung.

Und so einfach mal das Kindergeld streichen, das geht auch weiterhin nicht. „Einen Anspruch auf Kindergeld hat grundsätzlich jede Person, die freizügigkeitsberechtigt ist und einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat“, heißt es im Bericht der Staatssekretäre. Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, müssten selbst nicht in Deutschland leben. Kommunen fühlen sich oft alleingelassen — der Bund will nun unter anderem zehn Millionen Euro pro Jahr für Impfkosten übernehmen und 25 Millionen Euro an Unterbringungskosten.

Wie komplex das Thema ist, zeigt Hochfeld. Der Ausländeranteil liegt hier bei 48,5 Prozent, jedes Jahr tauscht sich durch 4000 Zu- und Fortzüge rund ein Viertel der Bevölkerung aus. Schleuserbanden bringen vor allem Osteuropäer in „Schrottimmobilien“ unter, sie sind oft heillos überfüllt. Vermieter freuen sich, dass sie auf einmal wieder ein paar Tausend Euro einnehmen, ohne sanieren zu müssen.

Auf die Frage, was sie sich am dringlichsten von der Bundesregierung wünschen würde, sagt die Integrationsbeauftragte Pater: „Mehr Geld mit einer flexiblen Einsatzmöglichkeit.“ Also nicht starre Programmvorgaben, sondern Geld für Sprachkurse, Betreuung, Bildung. Und Problemimmobilien, von denen es in Duisburg 120 gibt, seien abzureißen oder zu sanieren, um den ungeregelten Zuzug zu minimieren.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Integration durch engagierte Helfer vor Ort gelingen muss, wie um die Ecke das Projekt „Fit für Ausbildung und Arbeit“ an der Emil-Rentmeister-Schule zeigt. Hier wird Zuwanderern geholfen, die deutsche Sprache zu lernen und einen Job zu finden.

Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) setzt vor allem auf das von ihr verantwortete Programm „Soziale Stadt“. Die Mittel wurden ebenfalls erhöht, von 40 auf 150 Millionen Euro im laufenden Jahr, davon 10 Millionen Euro für betroffene Kommunen. Auch für den Kauf und die Sanierung von „Schrottimmobilien“ und die Quartieraufwertung. Aber die Lage in Hochfeld zeigt: Das könnte alles noch zu wenig sein. Zumal die Flüchtlingszahlen aus dem Mittleren Osten steigen dürften.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort