Der ganz normale Selfie-Wahn

Der Trend zur Selbstfotografie nervt einer Umfrage zufolge immer mehr Menschen. Doch wirklich missen will sie wohl niemand.

Der ganz normale Selfie-Wahn
Foto: dpa

Düsseldorf. Knipsen immer und überall — Selfies verbreiten sich rasend schnell. Mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent) hat schon mal ein Selfie geschossen, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab. Eine kleine Auswahl an skurrilen und rekordverdächtigen Bildern:

Na klar, die Fußballer haben wohl für den ersten Selfie-Rausch gesorgt. Bei der WM in Brasilien knipsten Poldi, Schweini und Co. wie die . . . ja genau, wie die Weltmeister. Selbstporträts wie jenes von Lukas Podolski mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verbreiteten sich dank Facebook und Twitter rasend schnell, mehr als eine Million Mal. Beliebt auch: der Kabinen-Schnappschuss der ganzen Mannschaft nach dem Finalsieg mit Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck — und natürlich dem Pokal.

Auch Politiker sind anfällig für Selfies, so steckt Bundeskanzlerin Merkel gerne ihren Kopf mit ins Bild. In Indien aber fanden viele Menschen die Aktion ihres jetzigen Premierministers Narendra Modi nicht so gut. Der fotografierte sich am Wahltag mit seinem Parteisymbol Lotusblüte. Doch solche Werbung ist eigentlich verboten. Drei Monate ermittelten die Behörden, schrieben Hunderte Seiten — ehe sie die Sache ablegten. Modi twittert unbeirrt weiter.

Das Selfie-Syndrom hat in Touristenorten ganz neue Geschäftszweige hervorgebracht. Ob vor Tempeln in Thailand oder historischen Bauten in Rom — hier blüht der Handel mit sogenannten Selfie-Sticks. Das sind lange Stangen, mit deren Hilfe man von weiter weg ein noch besseres Selbstporträt schießen kann. Nur wenn es regnet, muss der Tourist wieder selbst die Kamera ausstrecken — denn dann wechseln die Händler flugs auf Regenschirme und -ponchos.

Selfies sind ein Hype von heute? Von wegen, behauptet Colin Powell. Er habe schon vor Jahrzehnten Selbstporträts geschossen, betonte der frühere US-Außenminister — und veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite ein gealtertes Schwarz-Weiß-Foto, das ihn als Jugendlichen in weißem Hemd, Weste und mit Krawatte vor einem Spiegel mit einer analogen Kleinbildkamera zeigt.

Was Schauspielstars und Profikicker vormachen, machen viele Jugendliche natürlich nach. Die Teenager wollen damit auch herausfinden, ob sie für andere interessant sind. Das sollte aber nicht in einen Wettbewerb ausarten und dazu führen, dass Jugendliche anderen ständig etwas Außergewöhnliches bieten wollen, warnen Experten. Vor lauter posten und Hashtags setzen dürften sie nicht vergessen, die realen Momente zu genießen, sagt Kristin Langer von der Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“.

Mit Selfies sollen vor allem schöne (Urlaubs-)Erinnerungen festgehalten werden. Und damit der Schnappschuss für Freunde und Familie zu Hause noch besser gelingt, gibt es etwa im Emsland „Selfie Standpunkte“ — markierte Plätze für das perfekte Selbstporträt. Bleibt für den Fotografen nur noch, den richtigen Winkel zu wählen.

Ganz cool auf der Motorhaube eines Streifenwagens — mit diesem Selfie vor einer Dienststelle der Polizei brachte sich ein junger Mann in Speyer hinter Gitter. Denn als Beamte auf die Aktion des 24-Jährigen aufmerksam wurden, stellte sich heraus: Der Fotograf wurde mit Haftbefehl gesucht.

US-Präsident Barack Obama, die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt und der britische Premierminister David Cameron fotografierten sich bei der Trauerfeier für Nelson Mandela. Geschmacklos — fanden viele. Ebenfalls nicht begeistert war offensichtlich Obamas Ehefrau Michelle.

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