Der Schmusesänger aus dem Rentnerparadies

Marco ist der Mann für die reifere Jugend. Täglich besingt er die „Zigeuner der Liebe“ und lädt zum Schwof in die Glückseligkeit — außer montags.

Bad Sassendorf. Der Schmelz in seiner Stimme hat ihn zum Schlagerkönig von Bad Sassendorf gemacht. Marcos Welt besteht aus einer Tanzfläche und 174 Sitzplätzen. Im Kurcafé in Bad Sassendorf (Kreis Soest) wird der Alleinunterhalter verehrt wie ein König — und das seit 33 Jahren.

Marco spielt täglich von 15 bis 17 Uhr zum Tanz auf. Ob Hitze, Schneesturm oder Glatteis — der Schlagersänger singt immer, außer montags. Auf seinem Thron ist er Herr über vier Keyboards, eine Lichtanlage und über einen Chor, den er manchmal von der Festplatte zuspielt.

„Weiter geht es mit einem schönen Foxtrott, jetzt ist Herrenwahl“, säuselt Marco ins Mikro. Innerhalb weniger Sekunden stürmen die Senioren aufs Tanzparkett und beginnen langsam durch den Saal zu schwofen. Es ist der Ball der einsamen Herzen. Und Marco ist der Zeremonienmeister.

„300 Paare habe ich mindestens schon verkuppelt“, erzählt er. Dann singt er „Ich geh’ für dich durchs Feuer“, wobei er das Wort „Feuer“ noch mal leise nachhallen lässt.

Wenn sich zwei Menschen auf der Tanzfläche näher kommen und verliebte Blicke tauschen, greift Marco zu einem Trick: Selbst die softesten Lieder spielt er dann noch ein bisschen langsamer.

Oder er stimmt seine Zugnummer an — „Du bist meine Traumfrau“ — und schwärmt: „Ich hab’ dich in Sassendorf zum ersten Mal gesehen“. Die Verliebten schmelzen dahin. „Ich freue mich, wenn sich zwei Menschen finden“, sagt der 55-Jährige.

Nach drei Liedern macht er eine kleine Pause. Dann gehen die Tänzer zurück zu ihrem Tisch, um sich zu erfrischen. Ilse und Alfred, beide weit über 80 Jahre alt, haben sich ihr Mineralwasser verdient. Vor 16 Jahren zogen die beiden von Haltern am See nach Bad Sassendorf — wegen Marco. Jeden Dienstag wippen die beiden über das Parkett im Kurcafé.

Unterm Tisch warten Ilses Pumps auf den nächsten Schwof in die Glückseligkeit. „Wir gehen hier ja soviel spazieren, deshalb ziehe ich sonst nur platte Schuhe an“, erzählt die Frau, die in ihre schwarzen Haaren eine weiße Schleife gesteckt hat. Alfred trägt einen grauen Anzug, die Haare sind fein nach hinten gekämmt, der weiße Hemdkragen ist mit Goldplättchen abgesetzt. Für Marco machen sich alle schick.

„Tanzen ist die beste Medizin. Ein bisschen Bewegung, ein bisschen Kommunikation und Gemeinschaft, das hilft mehr als jede Pille“, sagt Marco — und zwinkert dabei Ilse und Alfred zu.

Tischdeckchen in Altrosa, Filterkaffee aus Kännchen, Blumenväschen, holzgetäfelte Decken — so ähnlich hat das Café im Herzen des Kurorts schon ausgesehen, als Marco dort vor 33 Jahren in das Showgeschäft einstieg.

Der Muntermacher ist Spätaussiedler aus Polen, er stammt aus Gleiwitz. Sein Vater war Trompeter, aber Norbert Bednarek, wie Marco mit bürgerlichem Namen heißt, studierte erstmal Elektrotechnik. Die Eltern gaben ihm den Rat: „Junge, lern etwas Richtiges. Von der Musik wirst du nicht satt.“

Doch es kam anders. Seine zarte Stimme gehört heute dem Schlagerkönig von Bad Sassendorf. Im Kurcafé führt Marco jeden Nachmittag Statistik. „Heute sind 86 Leute hier und ich kenne alle. Und alle lieben meine Musik“, sagt Marco und stimmt das nächste Lied an. Mit seiner sanften Stimme besingt er die „Zigeuner der Liebe“. Die Tanzfläche ist voll, alle sind glücklich — alle 86, restlos.

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