Der Sturm der Medusen

Meeresökologie: Den europäischen Küsten droht eine erneute Quallenplage. Ein Spektakel bot sich in der Kieler Förde.

Kiel. Die Menschen an der Nordsee, entlang der Atlantikküste und am Mittelmeer wissen: Alle zehn bis zwölf Jahre ereilt uns eine Quallenplage. Das war bislang so sicher wie der Wechsel von Ebbe und Flut. Diese Fischer-Weisheit ist aber mächtig ins Wanken geraten: Denn europäische Meeresforscher sagen den Küsten in diesem Sommer einen Sturm der Medusen voraus - nachdem schon die vergangenen vier Jahre reich an Quallen waren.

Im Juli 2007 erschreckte die Meldung von 60 Feriengästen auf Mallorca, die nach einer unangenehmen Begegnung mit einem Quallenschwarm ärztlich behandelt werden mussten. Vor allem die gefürchtete Feuerqualle dürfte manchem Strandurlauber schmerzhafte Verbrennungen zufügen. Im schlimmsten Fall kann der Kontakt mit ihren Tentakeln Lähmungen hervorrufen.

Ein ungefährlicher, aber darum nicht geringerer Plagegeist ist die Ohrenqualle, die besonders in der Ostsee vorkommt. Diese bis zu 30 Zentimeter große Art sorgte vergangene Woche in der Kieler Förder für ein besonderes Spektakel, als Tausende Tiere an der Oberfläche trieben und Urlauber erschreckten.

Die Quallen, sonst mehrere Meter tief im Wasser zu Hause, waren durch Luftblasen nach oben getrieben worden und dort verendet. Professor Ulrich Sommer vom Kieler Institut für Meereswissenschaften macht die "Kieler Woche" für das Massensterben verantwortlich.

Durch die Schrauben der vielen Schiffe seien extrem viele Luftblasen im Wasser erzeugt worden, die die Quallen aufgenommen hätten. "Die Population wurde dadurch aber nicht wesentlich dezimiert", so Sommer.

Der Meeresbiologe lässt keinen Zweifel daran, dass seit Beginn der Messungen vor rund 50 Jahren die Frequenz großer Quallenpopulationen deutlich zugenommen hat. "Zunehmende Ausnahmeereignisse" nennt das der Fachmann. Sommer und viele seiner Kollegen führen das auf den globalen Klimawandel zurück.

"Die Qualle ist ein exzellenter Umweltindikator", sagt zum Beispiel Jacqueline Goy vom Ozeanographischen Institut in Paris. Die Überfischung der Meere rottet natürliche Feinde wie Thunfische und Haie aus. Die Überdüngung der Felder lässt den Salzgehalt im Wasser steigen - so fühlen sich Quallen noch wohler. Und schließlich macht die globale Erwärmung aus den Ozeanen einen wahren Brutkasten für die Tentakelträger.

"Ist der Winter mild und wird es im Frühjahr schnell warm, entwickeln sich Quallen besonders gut", sagt Ulrich Sommer. So könne es auch dazu kommen, dass ungewöhnlich früh im Jahr - eben schon Anfang Juli - große Quallenschwärme an die Küsten gespült würden. "Aber vielleicht haben wir dann im August keine Probleme mit Quallen mehr", mutmaßt Sommer.

Eines wissen zumindest die Küstenbewohner jetzt mit Sicherheit: Eine Quallenplage kann sie mittlerweile jedes Jahr ereilen.

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