#4U9525 Germanwings-Copilot war früher suizidgefährdet

Düsseldorf/Paris (dpa) - Der Copilot der Germanwings-Maschine war Jahre vor dem Absturz als suizidgefährdet eingestuft und in psychotherapeutischer Behandlung.

#4U9525: Germanwings-Copilot war früher suizidgefährdet
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In jüngster Zeit sei ihm aber weder Selbst- noch Fremdgefährdung attestiert worden, teilte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mit. Es habe jedoch bis zuletzt „weitere Arztbesuche mit Krankschreibungen“ gegeben. Der 27-Jährige, der seit 2013 als Copilot für Germanwings flog, steht im Verdacht, den Airbus mit 150 Menschen an Bord mit voller Absicht in die Katastrophe gesteuert zu haben. Nach Experteneinschätzung kann die Identifizierung der Opfer noch bis zu vier Monate dauern.

Die Behandlung des Copiloten sei erfolgt, bevor er den Pilotenschein erworben habe, hieß es weiter. Der Lufthansa-Konzern, zu dem Germanwings gehört, hatte bereits öffentlich gemacht, dass es in der Pilotenausbildung des Mannes vor sechs Jahren eine mehrmonatige Unterbrechung gab, aber nichts zu den Gründen gesagt. Bei dem 27-Jährigen daheim hatten Ermittler zerrissene Krankschreibungen gefunden, auch für den Tag des Unglücks. Hinweise auf ein organisches Leiden gibt es in den ärztlichen Dokumentationen laut Staatsanwaltschaft bislang nicht.

Belegbare Hinweise für eine Ankündigung der Tat oder ein Bekenntnis fehlten nach wie vor. Zu den neuesten Erkenntnissen der Ermittler äußerte sich die Lufthansa am Montag inhaltlich nicht. Die ärztliche Schweigepflicht gelte auch gegenüber dem Arbeitgeber, erklärte eine Sprecherin des Konzerns.

In der Düsseldorfer Sonderkommission „Alpen“ beschäftigen sich aktuell etwa 100 Ermittler mit dem Absturz der Airbus-Maschine, die am vergangenen Dienstag auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen an einer Felswand zerschellte. Wie aus den Aufzeichnungen des Stimmenrekorders hervorgeht, war der Pilot zu diesem Zeitpunkt aus dem Cockpit ausgesperrt. Die französischen Ermittler konzentrieren sich deshalb auf den 27-jährigen Co-Piloten, untersuchen aber weiterhin auch die Möglichkeit eines technischen Defekts.

Die Ermittler haben seit Montag auch Zugriff auf Krankenhaus-Akten über den Copiloten, wie eine Sprecherin des Uniklinikums Düsseldorf sagte. Der Copilot, der aus dem rheinland-pfälzischen Montabaur stammte, war vor einigen Wochen als Patient an die Klinik gekommen. Dabei ging es den Angaben zufolge um „diagnostische Abklärungen“, die aber bislang offiziell nicht näher erläutert wurden. Für Berichte, wonach der Mann auch an Sehstörungen gelitten haben soll, war bislang keine Bestätigung zu erhalten.

Die Diskussion über die ärztliche Schweigepflicht gewinnt angesichts der Erkenntnisse an Fahrt. CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer forderte eine Lockerung für sensible Berufe: „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein“, sagte er der „Rheinischen Post“.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betonte in der „Bild“-Zeitung, wenn Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, sei „der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren“. Dies gelte „ganz besonders im Fall psychischer Erkrankungen und einer möglichen Selbstmordgefahr“.

Dagegen warnte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, vor „vorschnellen politischen und rechtlichen Entscheidungen“. Die ärztliche Schweigepflicht sei „ebenso wie das verfassungsrechtlich geschützte Patientengeheimnis ein hohes Gut und für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Menschenrecht“.

In den Bergen bei Seyne-les-Alpes ging bei schwierigen Wetterbedingungen die Suche nach Opfern und dem Flugdatenschreiber weiter. Von ihm erhoffen sich die Ermittler weiteren Aufschluss über die letzten Minuten von Unglücks-Flug 4U9525. Die Sucharbeiten wurden am Abend erneut für die Nacht unterbrochen.

Die Identifizierung der Opfer kann bis zu vier Monate dauern, wie der Leiter des zuständigen Kriminalinstituts der französischen Gendarmerie, François Daoust, am Montag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagte. „In Abhängigkeit von der Anzahl der Körperteile, die gefunden werden, kann der Zeitrahmen zwischen mindestens zwei und vier Monaten schwanken“, sagte Daoust am Sitz des Instituts in Pontoise bei Paris. „Es ist besser im Rhythmus der Wissenschaft zu arbeiten als zu überstürzen und damit das Risiko einzugehen, sich bei der Identifizierung zu irren.“

Um Angehörige, die zum Unglücksort reisen wollen, kümmern sich seit Samstag in einem Hotel in Marseille rund 90 Mitarbeiter. Germanwings will das Betreuungszentrum so lange wie nötig offenhalten, wie Geschäftsführer Oliver Wagner nach Angaben eines Lufthansa-Sprechers am Montag ankündigte.

Ein eigentlich für Ostersamstag in Haltern angekündigter Trauermarsch für die Opfer findet nun doch nicht statt. Die Anmelderin habe ihren Antrag wieder zurückgezogen, teilte die Polizei Recklinghausen am Abend mit. Erst am Vormittag hatte nach Polizeiangaben die Privatperson einen Trauermarsch mit 2000 bis 2500 Teilnehmern in Haltern angemeldet. Die Absage habe sie unter anderem damit begründet, dass die Angehörigen der Opfer nach dem für Mittwoch geplanten Gottesdienst in Haltern ein Recht darauf hätten, zur Ruhe zu kommen.

Unter den 75 deutschen Opfern des Absturzes sind auch 16 Schüler und 2 Lehrerinnen des Halterner Gymnasiums. Einen Trauergottesdienst soll es am 17. April im Kölner Dom geben.

Ursprünglich wollte Lufthansa am 15. April auf 60 Jahre Unternehmensgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Am Montag erklärte ein Sprecher auf Anfrage: „Ob und in welcher Form eine Feier stattfindet, prüfen wir derzeit.“

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