Eiswein: Bibbern für den edlen Tropfen

Mit den ersten starken Nachtfrösten beginnt auch die Ernte des Eisweins — mit durchgefrorenen Fingern und riesigem Erfolgsdruck.

Hattenheim. Bis Weihnachten sind es zwar noch ein paar Tage, aber auf dem Weinberg im Rheingau ist bereits Bescherung. „Das ist perfekt, es kommt kein Saft raus, es ist eine homogene Masse“, sagt Dirk Würtz und kaut auf einer tiefgefrorenen Traube. Mit einem Ruck reißt er in der Nacht zum zweiten Advent eine frostbedeckte Folie an einem Weinstock auf und schaut hinein. Überall kleine, funkelnde Weintrauben.

„40 Liter würde ich hier heute gern ernten“, sagt Würtz, Betriebsleiter des Weinguts Balthasar Ress in Hattenheim im Rheingau. Sein Atem steigt dampfend in die sternenklare Nacht hinauf, als er sagt: „Die schaffen wir heute Nacht auf jeden Fall.“ Gemeinsam mit 15 Helfern ist Würtz kurz vor Mitternacht in den Schnee gezogen, um Trauben für Eiswein zu lesen.

Dafür muss es für eine gewisse Zeit sieben Grad minus oder noch kälter sein. Werden die hart gefrorenen Trauben verarbeitet, entsteht ein besonders süßer Wein, da die wässrigen Anteile als Eis in der Kelter zurückbleiben. Der Wein hat dann einen höheren Anteil an Feststoffen — der Öchsle-Wert ist besonders hoch.

Eiswein ist ein begehrter Tropfen, der allerdings für die Winzer auch ein Risiko bedeutet: Sie spekulieren auf knackigen Frost. „Es gibt auch Jahrgänge, in denen wir die Trauben einfach abbrechen mussten“, sagt Christian Ress, Inhaber des Weinguts. Anders Anfang Dezember 2012. Bereits nachmittags fällt das Thermometer auf minus sieben Grad. Kurz nach 20 Uhr war für Ress und seine Mitarbeiter klar: heute oder nie. Sieben Zeilen hatten sie für den Eiswein stehengelassen.

Zwei kleine Traktoren geben mit ihren Scheinwerfern im Weinberg Licht, während die Helfer durch den Schnee stapfen und Traube für Traube aufsammeln. „Es wird alles geerntet“, ruft Betriebsleiter Würtz durch die Nacht. Seine Betonung liegt auf dem Wort „alles“. „Das Zeug kostet ein Vermögen“, sagt Würtz. Pro Flasche Eiswein rechnet er mit 300 bis 400 Euro. Die Rarität wird in die ganze Welt geliefert. Umso früher die Eisweinlese, desto besser. Dann ist nämlich garantiert, dass die Trauben noch nicht gefault sind.

Nach knapp einer Stunde ist die Ernte vorbei, die Arbeit aber noch lange nicht. Die Trauben müssen direkt gepresst werden, sonst geht der gesamte Frosteffekt verloren. Betriebsleiter Würtz ist der erste Schluck Most vorbehalten. „Der Geschmack ist glasklar, Weltklasse“, verkündet Würtz. In den Gesichtern der Helfer um ihn herum ist Erleichterung zu sehen. Die erste Messung ergibt: 170 Grad Öchsle. Mindestens 125 braucht es für Eiswein. Der Saft ist süß, die härteste Arbeit getan. Würtz freut sich: „Jetzt trinken wir einen.“

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