Elitenforscher Michael Hartmann: „Die Herkunft spielt eine große Rolle“

Nach Ansicht des Darmstädter Elitenforschers Michael Hartmann gibt es in Deutschland keine Chancengleichheit.

<strong>Düsseldorf. Herr Professor Hartmann, die OECD gibt dem deutschen Bildungssystem seit Jahren schlechte Noten - nicht zuletzt, weil es sozial ungerecht sei. Chemie-Nobelpreisträger Gerhard Ertl sagt mit Blick auf seine eigene Biografie aber: Wer klug und engagiert ist, schafft es nach oben. Können Sie diese These unterstreichen?

Hartmann: Nein. In der Wissenschaft sind die Chancen zwar besser als in Wirtschaft, Justiz oder Verwaltung. Aber auch an der Uni stammt jeder zweite Professor aus den oberen fünf Prozent der Bevölkerung. Von gleichen Chancen kann also auch da keine Rede sein.

Was müsste sich in unserem Bildungssystem ändern, damit die Chancen besser verteilt sind?

Wenn es eine Einheitsschule gibt, schicken gutsituierte Eltern ihre Kinder dann nicht noch stärker als bislang auf Privatschulen?

Hartmann: Versuche einer Abgrenzung wird es immer geben. Verstärkt werden solche Tendenzen aber, wenn man Eltern - wie künftig in NRW - gestattet, die Grundschule frei zu wählen. Dann finden sich nämlich ganz bestimmte Bevölkerungsteile an bestimmten Schulen wieder.

Wie lässt sich das verhindern?

Sie haben die These aufgestellt, dass es Kindern von Arbeitern und kleinen Angestellten trotz guter Schulbildung nicht gelingt, das Handicap ihrer nichtbürgerlichen Herkunft auszugleichen. Warum?

Sie nennen das Gnade der Geburt.

Hartmann: Ja. In den USA z.B. stellen an den Spitzenunis die unteren 80 Prozent der Bevölkerung gerade mal 20 Prozent der Studierenden, genauso viele wie die oberen zwei Prozent der Bevölkerung. Die Herkunft spielt ohne Zweifel eine große Rolle.

Auch deutsche Unis suchen sich verstärkt ihre Studenten aus.

Hartmann: Bei den Auswahlverfahren hierzulande gibt es bereits ähnliche Tendenzen wie in den USA, Großbritannien, Frankreich oder Japan - dass Kinder aus den oberen fünf Prozent bei den Auswahlgesprächen aufgrund sprachlicher Überlegenheit und bestimmter Verhaltensweisen begünstigt sind.

Da sind die Studiengebühren also das kleinere Übel.

Also schafft es auch das beste Schulsystem letztlich nicht, aus einem Arbeiterkind einen Angehörigen der Elite zu machen?

Hartmann: Das beste Schulsystem schafft es nicht, alle diese Faktoren auszuschalten. Das ist richtig. Es führt nicht dazu, dass alle die gleiche Chance haben. Dafür ist die Gesellschaft zu hierarchisch strukturiert.

Das lässt die Verfechter der Dreigliedrigkeit jubeln.

Gibt es in Deutschland keine Durchmischung der Gesellschaftsschichten mehr - etwa auf der Ebene persönlicher Beziehungen?

Neuerscheinung: "Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich." Campus Verlag.

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