Eurovision Song Contest: Balladen und Bonbon-Pop

Auch in diesem Jahr sind musikalische Leckerbissen beim Eurovision Song Contest Mangelware. Das Seichte dominiert.

Baku. Immerhin, Sieger der Herzen sind wir schon: Ein besserer Song als Roman Lobs „Standing Still“ wird beim Eurovision Song Contest (ESC) nicht auf die Bühne kommen.

So ehrlich und lässig wie der deutsche Beitrag, an dem Jazzpop-Star Jamie Cullum mitgeschrieben hat, klingt keines der 26 Lieder im Finale am Samstag. Nutzen wird das allerdings nichts — weder dem 21-jährigen Industriemechaniker noch der versammelten deutschen Schlagergemeinde.

Songs wie dieser, die erst über Umwege im Kopf ankommen und sich umso beharrlicher dort festsetzen, gewinnen so gut wie nie. Und Jungs wie Roman, die einfach nett ihr Lied singen, haben im multimedialen Spektakel längst keine Chance mehr.

Klar: Eine große Show war der Grand Prix d’Eurovision de la Chanson schon immer. Aber sechs zwanghaft wippende russische Großmütter, einen ungepflegten Balkan-Komiker namens Rambo Amadeus oder zwei Alpen-Rapper mit Porno-Attitüde hätte man noch vor 20 Jahren des Landes verwiesen. Heute dürfen sie mitmachen. Immerhin Montenegro und Österreich sind im Halbfinale ausgeschieden, die Babuschkas wippen weiter.

Solche Auftritte, könnten zur Annahme verleiten, dass früher alles besser war. Doch Engelbert Humperdinck vertreibt die Nostalgie schnell. Großbritannien schickt den Schnulzen-Veteranen mit dem unsäglichen Walzer „Love Will Set You Free“ ins Rennen, der bei Roy Orbison nicht mal auf einer B-Seite gelandet wäre.

Ein Ort für musikalische Entdeckungen ist dieser Song Contest ohnehin nicht, da bleibt er seiner 56-jährigen Tradition treu. Gefühlte zwei Drittel des Teilnehmerfeldes stützen sich auch in diesem Jahr auf die zwei Grundpfeiler des Wettbewerbs: gediegene Balladen oder hyperaktive Popsongs, letztere oft mit penetrantem Dance-Beat.

Für den neutralen Zuschauer bedeutet das ein Wechselbad zwischen Langeweile und Lärmbelästigung. Während man bei den Beiträgen aus Spanien, Estland oder Bosnien-Herzegowina sanft wegnickt, bieten Rumänien, Zypern oder Griechenland belangloser Bonbon-Pop.

Wie schnell eine solche Nummer am Ende oben stehen kann, hat der ESC 2011 in Düsseldorf aufs Neue bewiesen. Mit „Running Scared“ gewann eine farblose Ballade — und schon sitzt Europas Schlagerszene am Kaspischen Meer fest. Wie man altbekannte Genres originell variiert, zeigt in diesem Jahr der bei den Buchmachern hoch favorisierte Song „Euphoria“ aus Schweden.

Er beginnt düster und minimalistisch, steigert sich dann — analog zur fesselnden Performance der aus Marokko stammenden Sängerin Loreen — zur tanzbaren Hymne. Hit-Potenzial entwickeln auch der Pop-Kracher „Waterline“, mit dem Irland erneut das schräge Zwillingspaar Jedward ins Rennen schickt, oder die bombastische Streicher-Ballade „Never Forget“ aus Island.

Auch Italien dürfte gute Chancen haben. Sängerin Nina Zilli klingt wie Amy Winehouse, „Out of Love“ hätte auch außerhalb der Parallelwelt ESC die Chance, ein Hit zu werden.

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