Geweihe jetzt flippig und bunt

Ironie oder Liebe zur Tradition? Hörner von Hirsch, Rind und Co. kehren aufgemotzt zurück in deutsche Wohnzimmer.

Geweihe jetzt flippig und bunt
Foto: dpa

Kernen im Remstal. Vergoldete Schaufeln und pinkfarbener Knochen. Oder tiefschwarz die Hörner, der Schädel mit Nieten besetzt. Ein Hingucker sind die aufgemotzten Geweihe von Rolf Miess ohne Zweifel. Mal arbeitet er mit Neonfarben, mal mit Strasssteinen. Nur Latex und Wachs nutzt er nicht. „Da geht die Struktur verloren“, sagt der 36-Jährige, der die Produktion aus der Privatwohnung in Räume in Kernen im Remstal bei Stuttgart verlegt hat.

95 Prozent der Jagtrophäen vom Reh über Hirsch und Elch bis zum Rind, die er hier verziert, seien aus Nachlässen von Jägern. „Dabei ist es schwierig, an gute Qualität zu kommen“, sagt Miess. Denn während Jäger auf ausgefallene, krumme oder abgestoßene Hörner aus seien, lege seine Kundschaft viel Wert auf Symmetrie und Perfektion. Wenn links sechs Enden abgehen, dann bitte auch auf der rechten Seite.

Ein Großteil der Kunden seien Frauen, sagt Miess. „Die nutzen solche Geweihe als ausgefallenes Bildersatzmittel.“ Die Nachfrage sei in den Regionen Hamburg, München, Wien, Köln und Frankfurt groß. Die meisten seiner Kreationen verkauft Miess, der sich als Designer bezeichnet, nach eigenen Angaben an Privathaushalte, gefolgt von der Gastronomie und für Büroräume. Zum Preis sagt er: „Von zehn Euro bis unendlich.“

Geweihe sind längst nicht mehr verstaubte Relikte aus Großvaters Zeiten, sondern halten Einzug in die Studenten-WG und ins Wohnzimmer. Heidrun Jecht vom Badischen Landesmuseum sagt: „Das war ein Trend, der jetzt zur omnipräsenten Mode geworden ist.“ Weil aber auch kommerzielle Hersteller aufspringen und Massenware produzieren, gehe die ursprüngliche künstlerische Absicht, ein ironischer Bruch mit altbekannten Werten, immer mehr verloren. „Wer sich heute aber ein Geweih kauft, wird sich vermutlich erst in zweiter Linie bewusst, dass er da eine Tradition aufgreift“, meint Jecht.

„Sehr beliebt sind im Moment Nieten“, sagt Miess und erzählt, dass er über die Anfrage eines Dominastudios darauf gekommen sei. Überhaupt läuft bei Design und Materialien vieles über Versuche. Da nur wenige Leute Jagdtrophäen auf ähnliche Weise bearbeiten, gibt es kaum Tipps und Tricks. „Da mussten anfangs einige Geweihe drunter leiden.“

Angefangen hat der hauptberufliche Bezirksleiter einer Bank, nachdem ihm eine Kundin ein Hirschgeweih vererbt hatte. Einfach in den Keller sperren wollte er es nicht, in der Blanko-Version an die Wand hängen aber ebenso wenig. Vergoldete Hörner und Strass am Schädel — so startete er vor fünf Jahren. Erst einmal privat, mittlerweile hat er eine Angestellte und nach Feierabend gut 20 Stunden pro Woche zu tun.

Die Freude am Verkaufen kommt ihm nicht nur in seinem eigentlichen Job zugute. Vor allem profitiere er aber von den Leuten, die er kennenlernt — etwa bei einem High-Society-Golfturnier in Kitzbühel. Eines hat Miess in der Zeit festgestellt: „Frauen achten sehr darauf, dass es gut aussieht. Männer wollen es eher groß und mächtig.“

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