Hobby "Postcrossing": Die Welt in Postkarten

Norbert Venzke freut sich jeden Tag auf den Gang zum Briefkasten. Der Düsseldorfer sammelt Begegnungen mit Menschen — allerdings schriftliche.

Düsseldorf. „Die Postkarte hat den Höhepunkt ihres Produktlebenszyklus’ überschritten, und sie wird zunehmend von neueren, moderneren Produkten verdrängt“, schreibt das Internetlexikon Wikipedia. Norbert Venzke kann darüber nur den Kopf schütteln. Und lässt Zahlen sprechen:

Knapp 9300 Postkarten hat er bis heute erhalten, an knapp 9500 Menschen welche verschickt. Eins ist klar: Wenn Norbert Venzke alias Nordbaer etwas tut, dann exzessiv, „weil es so am meisten Spaß macht“. Seit sechs Jahren ist der Düsseldorfer aktiver Postcrosser.

Postcrosser? Menschen verschicken Postkarten an andere, deren Adresse zufällig ausgewählt und per E-Mail mit Link auf ihr Internet-Profil sowie Identifikations-Code mitgeteilt wird. Kosten: bis auf Karte und Briefmarke keine. Geschrieben wird in Englisch.

Der ID-Code wird auf der Karte vermerkt, damit ihn der Empfänger, mit einem kleinen Dankeswort, auf der Website von postcrossing.com registrieren und nun selbst Adressen zugeteilt bekommen kann. Der Kreislauf schließt sich.

„Bei Postcrossing wird sehr sorgsam mit den Daten der Nutzer umgegangen, deshalb auch der Code“, erklärt Venzke.

Schon früher hat der 57-Jährige Postkarten gesammelt. „Ich habe damals die Leute gebeten, mir welche zu schicken, das ist dann aber wieder eingeschlafen.“ Zum Postcrossing kam er über seine Frau, mit der er in der Landeshauptstadt lebt.

„Sie hatte Brieffreunde in aller Welt. Und einer davon hat ihr den Link zur Website geschickt. Ich sollte dann mal nachsehen, was sich dahinter verbirgt.“ Gesagt, getan — und infiziert. „Ich fand es sofort toll.“ Postcrossing sei eine geniale Verbindung von digitaler und analoger Welt. „Auch junge Leute entdecken so das Postkartenschreiben für sich“, schwärmt der Programmierer Venzke.

Heute vergeht kein Tag ohne Postkarten im Briefkasten. Im Schnitt sind es 15 bis 20, plus diejenigen, die an seine Frau adressiert sind — die natürlich auch Postcrosserin ist. „Klausdiemaus“ (ihr Name bei Postcrossing, der an den verstorbenen Kater erinnert) hängt sogar „Nordbaer“ ab. In der internationalen Rangfolge stehen sie auf Platz zwei und drei. Venzke gibt sich bescheiden: „Das Ranking interessiert mich eigentlich nicht, es ergibt sich rein zufällig, da wir so viel schreiben.“

Schränkt das Hobby nicht irgendwann zu sehr ein? Entschiedenes Nein: „Es ist ein wichtiger Teil meines Lebens, ein zwang- und harmloses Hobby. Es ist keine Sucht, ich kann auch in Urlaub fahren, ohne Karten zu schreiben.“ Er freue sich vielmehr täglich auf den Blick in den Briefkasten. Ist der leer, weiß Venzke, dass der Briefträger geschlampt hat. „Dann beschwere ich mich.“

Auch wenn Norbert Venzke ob der Kartenflut kaum dazu kommt, ältere Exemplare in Ruhe anzuschauen, hat er doch ein paar Lieblinge. Etwa die Karte, die er von der Mutter einer tödlich verunglückten Kadettin des deutschen Segelschulschiffs Gorch Fock erhielt. Sie verschickte Postkarten zum Andenken an die Tochter. „Das hat mich sehr berührt.“

Eine besondere Karte ist auch die, die er von Tuvalu erhielt, „eine Insel, die es wegen des Anstiegs des Meeresspiegels in hundert Jahren nicht mehr geben wird“. Ansonsten liebt Nordbaer Motive mit Menschen oder in Schwarz-Weiß, „gerne auch historische“. Lieblingsspruch: Postcard is loading — Please wait (Foto).

Die meisten Postcrosser sammeln Karten, viele auchBriefmarken, Norbert Venzke „sammelt Menschen“. „Mir ist die Rückseite wichtiger, der Kontakt zu einem Menschen, den ich vorher nicht kannte.“ Wünsche des Empfängers an Motiv oder Inhalt versucht er zu berücksichtigen und freut sich besonders über eine positive Rückmeldung. Und weil er gar so gerne schreibt, bietet er anderen an, deren Freunde mit Überraschungspost zu erfreuen.

Zwar wird in der Regel nur einmal an eine Person geschrieben, aber man könne auch Kontakt halten, zum Beispiel im Postcrossing-Forum. Auf diese Weise seien schon viele Freundschaften entstanden, die zum Beispiel bei jährlichen Treffen vertieft werden können. Venzke weiß sogar von Ehepaaren, die sich über Postcrossing gefunden haben.

Eine letzte Frage: Warum eigentlich Nordbaer? Den Spitznamen hat ein Stempelhändler geprägt, den er von seinem früheren Hobby, dem Votivstempeln, kannte: „Er hat meinen Vornamen einfach zu Nordbär verballhornt, zumal meine Statur etwas Bärenhaftes hat. Andere haben mich dann auch so genannt, und ich habe den Namen für mich angenommen.“

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