Im Stall mit Hennes

Die Bundesliga-Rückrunde beginnt. Eine neue Chance auf Bewährung für den Geißbock, den Glücksbringer des 1. FC Köln. Zu Besuch bei Frau Schäfer in Widdersdorf.

Köln. Kann es das tatsächlich sein? Das Wohngebiet liegt am Rande von Köln, unweit der WDR-Studios in Bocklemünd. Widdersdorf. Wer Köln mag, aber zu alt für den Trubel ist, kommt vielleicht hierher. Alles dicht bebaut. Und dann diese Straße „Zum Neuen Kreuz“, dieses Haus, brauner Klinker, auf der weiß verputzten Seitenwand prangt das Logo des 1. FC Köln. Rote Schrift: „Hier wohnt Hennes“.

Hier wohnt Hennes? Der Geißbock, das Symbol des Kölner Fußballs, springt nicht auf der grünen Wiese eines Gehöfts? Hennes lebt gleichsam auf der Terrasse eines Wohnhauses, in einem kleinen Stall, ein Kaninchen ist sein letzter tierischer Freund. Und ein Mensch.

„Ich bin die Ziegenflüsterin“, sagt Hildegard Schäfer zur Begrüßung. Sie trägt einen roten Kapuzen-Pulli und Jeans, uneitel, ihr Haar ist vom Wind zerzaust, die Hornbrille etwas zu groß für das zarte Gesicht. Ihr urkölscher Dialekt ist eine Aufgabe für jeden Fremden. Die 75-Jährige hat schon gewartet. Jetzt sprudelt es aus ihr heraus: die Geschichte ihres Mitbewohners, des Bocks.

Hildegard Schäfer ist die Hüterin von Hennes VIII. Das Symboltier eines Vereins, der dem Wahnsinn schon immer ganz nahe war. Und zu dessen Mythos ein solches Tier gehört, längst ins Wappen integriert, ein alberner Kult, ein Aberglaube, so wunderbar verschroben, dass es eine Freude ist. Wie die stete Begegnung von Hildegard Schäfer mit Lukas Podolski, dem letzten Kölner Fußball-Star. „Der Jung’ hat nur Quatsch im Kopf“, sagt sie über Podolski, „der packt dem Hennes im Stadion immer an die Hörner, aber das mag der nicht. Ich schimpfe immer.“

Hennes VIII. mag tatsächlich nicht besonders viel. „Er ist nicht ganz einfach“, sagt Hildegard Schäfer. Er ist ein Anführer, ein Widerspenstiger. „Fotos, Filmaufnahmen — ich muss immer dabei sein.“ Sie allerdings, sagt sie, könne auch bei ihm schlafen.

Wie zum Gegenbeweis springt Hennes wild umher, als es ein Foto mit seiner Chefin geben soll. „Er mag meinen roten Pullover nicht“, sagt Frau Schäfer, was nicht günstig ist, wenn die Vereinsfarben des FC zu 50 Prozent aus Rot bestehen.

Sie kennt ihre Pappenheimer. Hennes VII. war ganz anders, eine wahre Pracht. „Mit dem konnte man alles machen“, sagt sie mit leuchtenden Augen, aber vor allem konnte man mit Hennes VII. sportlich auch ganz gut absteigen. Viermal verließ der FC mit seinem Maskottchen Nummer sieben die erste Liga. Ein bewegtes Leben, das 2008 mit einer Arthrose an den Kapillargelenken endete. Eingeschläfert bei den Schäfers. Hennes VIII. hatte längst übernommen. Und wurde Filmstar. 2010 drehte er einen Kinofilm mit Komiker Tom Gerhardt. „Die Superbullen“. Im Inhalt wird der Bock entführt, die Täter werden — na? — in Mönchengladbach vermutet.

Kann es eigentlich einen passenderen Namen als „Schäfer“ geben? Er stammt von Wilhelm Schäfer, Hildegards Mann, das Haus in Widdersdorf ist sein Elternhaus. Ein Hobby-Landwirt. 1970 übernahm er den Bock, aus „Lieschen“ im Stall der Schäfers wurde Hennes III. 36 Jahre lang kümmerte sich der stille Mann mit Knollennase, Mütze und Knickerbockern, der längst ebenso Kult war wie sein Bock. Dann starb er 2006. „Noch am Totenbett habe ich meinem Mann versprochen, dass ich das fortführe“, sagt Hildegard Schäfer. Ihre Augen glänzen feucht. „Hilde, das darfste nicht drangeben“, habe er gesagt.

Längst war der Bock Lebensinhalt geworden, das Haus, in dem sie mit Sohn Roland wohnt, ist ein Museum mit Wimpeln, Fotos, Autogrammen, mit Erinnerungs- und Glückwunschschreiben vom FC. In der Garage hat sie einen kleinen Altar für ihren Mann errichtet. Alles in Rot und Weiß. Sie will es fortführen, „bis ich nicht mehr bin“, sagt sie. Und dann? „Hätte ich den Bock gerne im Kölner Stadtwald privat untergebracht.“

300 Euro Futtergeld gibt es monatlich vom Verein, ab und an kommt einer vom FC vorbei, Geschäftsführer Claus Horstmann, ein Mal auch 54er-Weltmeister Hans Schäfer. Toni Schumacher wohnt in der Nachbarschaft. Und der aktuelle Kapitän Pedro Geromel. „Ein Netter“, sagt Hildegard Schäfer und zeigt Fotos aus vier Jahrzehnten Geißbock.

Zu jedem Heimspiel steht Hennes VIII. mit Frau Schäfer am Spielfeldrand. Auch immer dabei: Ingo Reipka, Betreuer und Fahrer. Reipka arbeitet für einen FC-Sponsor, für alle Aktivitäten mit dem Bock ist er freigestellt, sein Hennes-Transporter ist mit Rollrasen ausgelegt. Bei jeder Begegnung in Köln-Müngersdorf wartet das Trio am Spielertunnel, Schäfer und Reipka im FC-Trikot, Hennes mit FC-Deckchen an der Leine. Ein Maskottchen, immer so gut, wie der FC gerade spielt. Aber doch immer beliebter als fast jeder Spieler.

Die Kölner verdienen kräftig an ihm: Hennes-Gartenzwerge, Hennes-Tassen, Bettwäsche und vieles mehr. Alles tausendfach verkauft, seit Zirkus Williams dem FC 1950 den ersten Bock überreichte. Als Karnevalsscherz, benannt nach Trainer Hennes Weisweiler. Seither läuft das Merchandising. Aber Glück hat der Bock dem Verein selten gebracht.

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