Kamp-Lintfort: Der letzte Pütt macht dicht

100 Jahre bestimmte die Kohle den Pulsschlag von Kamp-Lintfort. Jetzt will man eine moderne Stadt werden.

Kamp-Lintfort. Zuerst Oberhausen, dann Duisburg, jetzt Kamp-Lintfort. In seinem Bergmannsleben hat Manfred Sträter zweimal Zechen sterben sehen. Jetzt, bei der dritten, ist er 73 Jahre alt und längst aus seinem Berufsleben raus.

Besser wird es dadurch nicht: „Egal, wo man ist. Es tut weh, wenn man sieht, wie das alles plattgemacht wird.“ Jetzt ist also das Bergwerk West der RAG Deutsche Steinkohle dran. Der letzte Pütt, wie die Zechen genannt werden, am Niederrhein.

Zeche und Stadt, lange wie ein symbiotischer Organismus. Seit rund 100 Jahren pulst er. Wer über die Bundesstraße ins Stadtzentrum fährt, merkt das: das Ausbildungszentrum, die alten Backsteingebäude, die kilometerlange Mauer, die Straße zur Beamtensiedlung, auf der anderen Seite die Bergarbeitersiedlung. Vor 20 Jahren wäre die Zechenschließung wohl noch wie eine äußerst schmerzhafte Amputation gewesen.

Heute ist die Stadt zu einer Spur Optimismus in der Lage. Und das hat auch etwas mit den Veränderungen der letzten Jahre zu tun. Die Hochhäuser mit dem zweifelhaften Charme der 70er Jahre stehen zwar immer noch. Aber die Fußgängerzone wirkt freundlich und modern. Die Stadt hat sie in den letzten Jahren für sieben Millionen Euro aus dem Förderprogramm des Bundes umgebaut. „Wir wollen nicht mehr Bergbaustadt sein, wir wollen eine moderne Stadt sein“, sagt Wirtschaftsförderer Andreas Iland.

Die Stadt hat ein neues Logo. Auch ganz modern, von einer Studentin entwickelt. Studenten sind für die Stadt auch wichtig. Die Hochschule Rhein-Waal gibt es seit 2009 und soll mal 2000 Studenten haben. Die Generation Zukunft. Vom Einkaufszentrum aus kann man den neuen Campus wachsen sehen.

Bürgermeister Christoph Landscheidt (SPD) äußert sich verhalten optimistisch: „Klar wird es schwer. Aber es wird leichter als bei anderen Standorten.“ Immerhin zehn Jahre habe sich die Stadt auf die Schließung der Zeche vorbereiten können — und sei dabei ganz gut unterwegs. Es gibt neue mittelständische Unternehmen. Im Gewerbegebiet gebe es keinen Platz mehr, neue Flächen würden gebraucht.

Wenn jetzt die Kohle geht, werden 40 Hektar Fläche in der Stadt frei. Großer Park, ein Mix aus Wohnungen und Dienstleistungen, ein direkter Bahnanschluss, das ist hier geplant. Im Süden der Stadt will die Logport Ruhr, ein Beteiligungsunternehmen der Duisburger Hafen AG und der RAG, 30 Hektar an Logistikunternehmen vermarkten. Die Kamp-Lintforter hoffen auf 1000 neue Arbeitsplätze. Der Region bekäme das gut.

Bürgermeister Landscheidt denkt an die 1600 Arbeitsplätze, die vor ein paar Jahren allein bei der Schließung des Elektronikkonzerns BenQ verlorengingen. Auf der Zeche arbeiteten noch über 2500 Menschen. Die meisten pendelten aus dem Umland ein. Viele gehen in den Ruhestand oder wechseln zu anderen Zechen. Richtig weh tut der Region, dass so viele Ausbildungsplätze wegfallen — moderne Berufe wie Mechatroniker, Elektriker oder Betriebsschlosser.

Bei der neuen Zukunft ziehen Verwaltung, Politik, Bürger an einem Strang. Kein Knatsch, versichern die Gesprächspartner. Allein mit dem Förderturm ist das so eine Sache. Den wollen viele Menschen behalten und denken sich fantastische Dinge aus: Loftwohnungen könnte man doch darin bauen, oder ein Café.

Der Beton unter dem roten Wellblech soll aber schon bröckeln. Das wollen die Leute hier nicht hören, auch nicht dieses Todesurteil: „Wenn die RAG keine Nachnutzung hat, wird er abgerissen“, sagt Iland.

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