Polizisten leben in ständiger Angst

Angriffe immer brutaler. Experten beklagen Verfall der Werte.

Münster/ Köln. Der Samstag, der für den Polizisten Ralf Remmert so schrecklich endete, war eigentlich ein Tag zum Feiern gewesen. Der 1. FC Köln hatte 3:2 gegen Bayern München gewonnen. „Alles hätte schöner nicht sein können“, erinnert sich sein Dienstkollege Volker Lange. Eben noch standen beide Beamte inmitten Fangesängen vor dem Stadion. Nur Sekunden später liegt Lange nun kopfüber in einer Hecke.

Seinem Kollegen wird die weiße Polizeimütze vom Kopf geschlagen. Als er nach dem „Scherzbold“ greift, der mit der Mütze weglaufen will, wird Ralf Remmert von fünf anderen Hooligans umzingelt, zu Boden geprügelt und mit Tritten übersät.

Oberpolizeirat Lange muss mit ansehen, wie sein Kollege zusammengekrümmt auf dem Boden liegt, seinen Kopf hilflos mit den Armen vor Tritten und Schlägen schützt. „Das sah aus, als wollten die ein Feuer austreten. Die haben sich darum gestritten, wer als Nächster zutreten darf.“

Dieses traumatische Erlebnis ist nur ein Beispiel von vielen. Schläge, Tritte und Stiche gegen Polizisten sind längst kein Einzelfall mehr. Die zunehmende Aggressivität gegenüber Polizeibeamten wird ein immer wichtigeres Thema. Experten beraten unter anderem auf der dreitägigen Polizeimesse „Ipomex“, die am Dienstag in Münster begann.

Von „Gewalt als einer alltäglichen Erfahrung“ sprach NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). „Die Beamten haben täglich Angst, bedroht zu werden.“ Sein leitender Polizeidirektor Bernd Heinen wird deutlich: „Die Aggressivität nimmt zu!“ Er spricht von einer „neuen Qualität und Intensität der Gewalt“. Laut neuen Zahlen hat sich zwar nicht die Anzahl der Übergriffe auf Polizisten erhöht — wohl aber ihre Heftigkeit.

„Früher war die Schlägerei vorbei, wenn ich auf dem Boden lag, heute ist es das Schlimmste, was mir passieren kann“, stellt es Bernhardt Schmidt von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) plakativ dar. Sein Kollege Erich Rettinghaus von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) glaubt ebenfalls, dass sich die Art der Gewalt ändert. Seine Erfahrung ist: „Es wird nicht mehr versucht zu kommunizieren, sondern es wird sofort zugeschlagen.“

Allein in NRW waren Polizisten im vergangenen Jahr 6.000 Mal mit Widerstand gegen die Staatsgewalt konfrontiert. Jedes achte Mal endete es für die Beamten mit ernsthaften Verletzungen. Fast 90 Prozent der Täter sind männlich, gut drei Viertel stehen unter Einfluss von Alkohol oder Drogen. Die Gründe für die zunehmende Heftigkeit der Angriffe führen die Experten einhellig auf den Verfall gesellschaftlicher Werte zurück. lnw

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