Stalingrad: Der eisigen Hölle entronnen

Vor 65 Jahren ergab sich die 6.Armee. Drei überlebende Soldaten berichten.

<strong>Wuppertal/Düsseldorf. "Letzte Patrone verschossen, wir melden uns ab." Ein Funkspruch, den Manfred Gusovius nicht vergessen kann. Minuten später sprengt sich das 300-köpfige Pionierbataillon selbst in die Luft. Der Stabsoffizier erkennt den Rauchpilz am Himmel. "Natürlich hatte auch ich Angst vor der Gefangennahme. Aber ich wollte leben", sagt der heutige Wuppertaler. Morgen vor 65 Jahren endete die Schlacht um Stalingrad. 300000 deutsche und verbündete Soldaten sitzen seit dem 19.November 1942 in der Falle. Eine Million Rotarmisten schlossen den Kessel um die Wolga-Metropole, bringen Hitlers Eroberungskrieg zum Stillstand. Die Zeche für dessen Größenwahn zahlen die Soldaten der 6. Armee. Zuletzt sterben von ihnen 1600 jeden Tag. Wer nicht in den Kämpfen fällt, krepiert durch Hunger und Kälte. Neben Gusovius (87) gehören Anfang Februar auch Dieter Peeters (87) aus Düsseldorf und Horst Zank (88) aus Bonn zu denen, die noch leben. Sie erinnern sich. "Seit der Kesselschließung wurde die Lage für uns jeden Tag schlimmer. Es war kalt, es gab nichts zum Essen. Für ein kleines Stückchen Brot und im Vertrauen auf Rettung ließen wir uns immer wieder zum Einsatz bewegen", berichtet Dieter Peeters, damals 22.

"Täglich verhungerten Soldaten. Sie fielen plötzlich tot um."

Die Versorgung mit Lebensmitteln, Winterkleidung und Munition ist zu diesem Zeitpunkt nur noch aus der Luft möglich. 550Tonnen täglich braucht die Armee. Fünf mal mehr als die Luftwaffe einfliegen kann. Abgeworfene Verpflegungsbomben werden oft von denen geplündert, die sie finden. Für viele andere bleibt nichts übrig. Peeters sieht seine Freunde sterben: "Täglich verhungerten Soldaten. Sie fielen plötzlich tot um. Manche aßen das Fleisch der Leichen." Er selbst springt dem Tod nur knapp von der Schippe. Bei einem Einsatz trifft seine Einheit auf russische Panzer. "Sie entdeckten uns, hielten direkt auf die vor mir liegende Gruppe zu. Die Panzer wälzten sich durch die Deckungslöcher und zermalmten mit ihren Ketten die Soldaten. Ich stellte mich tot und die Panzer entfernten sich." Den russischen Kämpfern geht es kaum besser. Wer sich zurückzieht, wird erschossen, befiehlt Stalin. Und auch der Gegner kennt keine Rücksicht: "Wir liefen Tag und Nacht, waren erschöpft. In diesem Zustand stießen wir auf deutsche Panzer. Meine 42 Leute waren innerhalb einer halben Stunde tot", erinnert sich Rotarmist Gamlet Dolokjan in einem Feldpostbrief. "Wir beobachteten, dass die Russen weitaus größere Verluste hatten als wir. Gefangene baten uns darum, aus Furcht vor Stalin erschossen zu werden", weiß Zank. Kraft zum Leben schöpfen viele Eingeschlossene aus dem letzten Kontakt zur Außenwelt. Feldpost stärkt die Moral, das weiß auch die Wehrmachtsführung. Briefe fliegen Richtung Heimat, Verwundete bleiben oft im Kessel. "Ich schrieb meinen Eltern nicht, wie ernst die Lage für uns war. Man wusste ja, dass die Briefe kontrolliert wurden. Mir war es äußerst wichtig, überhaupt etwas von zu Hause zu hören", sagt Manfred Gusovius.

Unterdessen keimt im Kessel kurz vor Weihnachten noch einmal Hoffnung auf. Mit 130 Panzern und 60000 Soldaten marschiert die Panzergruppe Hoth Richtung Stalingrad. "Wir konnten den Gefechtslärm hören und hofften, Weihnachten nicht mehr eingeschlossen zu sein. Dieser Gedanke ließ sie die schweren körperlichen und seelischen Belastungen leichter ertragen", erzählt Horst Zank.

22.Juni 1941 Die deutsche Wehrmacht greift auf Hitlers Befehl ohne Vorwarnung die Sowjetunion an.

Sommer 1942 Die Sechste Armee unter Generaloberst Friedrich Paulus marschiert Richtung Stalingrad an der Wolga. Die geplante Eroberung der Stadt hat keine strategische Gründe, sondern sie ist vom Prestige geprägt. Sie trägt den Namen Stalins.

Mitte November 1942 Der Großteil der kampfzerstörten Stadt befindet sich in deutscher Hand.

19. November 1942 Die Rote Armee mobilisiert eine Million Soldaten und schließt in einer Gegenoffensive die Sechste Armee ein. Trotz der schlechten Versorgungslage verbietet Hitler die Kapitulation.

2. Januar 1943 Die letzten deutschen Soldaten strecken ihre Waffen. Bis dahin lassen mindestens 700000 Zivilisten und Soldaten ihr Leben. Sie erfrieren, verhungern oder sterben im Kampf. Die vernichtende Niederlage gilt als der psychologische Wendepunkt des Krieges und Endpunkt des Vordringens der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion.

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