Street Angels: Hazienda Arche Noah für kranke Kinde

Früher hat Leines gerne einmal hingelangt. Heute hilft er mit seinen Freunden todkranken Kindern.

Aachen. Die Frage ist rein rhetorisch, eine Spur Empörung schwingt mit: „Seh ich etwa aus wie Uwe-Edmund?“ Zugegeben, unter einem Uwe-Edmund Gaworski stellt man sich keinen Mann mit Tattoos, Pferdeschwanz und Rockerkutte vor. Aber mit Klischees kommt man nicht weit bei diesem Mann, den alle nur Leines nennen. Leines ist Rocker. Früher hat er auch mal hingelangt. Es gibt auch die eine oder andere Vorstrafe. Das klingt wie aus einem anderen Leben. Rocker ist Leines zwar immer noch, aber einer der anderen Art.

Die Hazienda Arche Noah haben Leines und seine Street Angels für kranke Kinder gebaut. Die können dort eine Atempause von Weißkitteln, Geräten und Krankenhausluft nehmen. Sie dürfen Kind sein — weit weg vom Klinikalltag. Die weitläufige Hazienda ist Abenteuerspielplatz, Park, Oase. Das Piratenschiff, Sandkästen, Floß, Baumhaus — alles ist für Kinder im Rollstuhl erreichbar. Es gibt keine Grenzen. Die Rocker haben alles selbst gebaut, super robust und wie für alle Zeiten.

„Nicht schlecht für eine tätowierte, vorbestrafte, langhaarige, asoziale Randgruppe“, kokettiert Leines. Unangepasstes Rockervolk eben. Aber stolz sind sie „wie Bolle“ auf die Auszeichnung als schönste Gartenanlage Aachens. Und dann die Bambi-Verleihung im vergangenen Jahr. Da war Leines im Fernsehen, natürlich in Rockerkluft. Haben die feinen Damen und Herren geguckt!

Gefreut haben sich die Angels. Ein Highlight? „Ein Highlight ist, wenn Kinder gesund werden“, antwortet Leines. Die Werte haben sich verschoben. Leben ist nicht selbstverständlich. Viele Kinder, die auf der Hazienda waren, sind tot. Ihre Namensschildchen stehen an einer Buche, die die Rocker „Stairway to heaven“ (Treppe zum Himmel) nennen.

Leines hat mal Schmied gelernt. Passt zu seiner Statur. Früher hat er gedacht, nichts und niemand könnte ihn unterkriegen. Bis seine Frau krank wurde. Krebs. „Da fühlt man sich hilflos wie ein kleines Männelein“, sagt der große, muskulöse Mann. Er nennt die Dinge beim Namen: „Sie ist an Krebs verreckt.“

Das Leid seiner Frau, die Begegnung mit schwer kranken Kindern, Ärzte, Geräte, der Tod — das alles hat ihn verändert. Der da oben — Zeigefinger und Blick gehen vielsagend in die Höhe — habe ihn auf die Idee mit der Hazienda gebracht, für kranke und behinderte Kinder.

Aggie ist oft mit ihrem Sohn Jan da. An dem Tag kommt sie allein: „Es war eine ziemlich wilde Nacht“, sagt sie. Ihr Sohn hat sie auf Trab gehalten. Er ist jetzt 16 Jahre alt, aber geistig auf dem Stand eines Siebenjährigen. Mit zwei Jahren hat Jan einen Fieberkrampf bekommen, der ein halbes Jahr andauerte. Er geht staksig und spricht laut. Immer gucken die Leute. Immer hat sie dann das Gefühl, Jan korrigieren zu müssen.

„Hier ist das anders. Hier bin ich Mama und Jan ist Jan“, sagt die Frau. Hier können beide sein wie sie sind. Rocker, der Begriff sei auf den ersten Blick negativ besetzt. Menschen sprechen sie darauf an, sind neugierig. Aus ihrem Mund klingt die Situation so schlüssig: „Jan ist anders, unsere Lebensform ist anders, und die Rocker sind auch anders.“ Passt doch irgendwie.

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