Strick-Guerilla macht Städte bunt

Bei Nacht und Nebel verkleidet eine Gruppe aus Essen Masten und Schilder.

Essen/Remscheid. Die Fluchtwagenfahrerin steht Schmiere. Sie will nicht entdeckt werden - Pilzi auch nicht. Stricknadeln klappern, Fäden flattern. So schnell wie die Strick-Guerilla gekommen ist, ist sie wieder verschwunden. Zurück bleibt ein bunt bestrickter Laternenmast. Einer, der die graue Stadt etwas bunter machen soll.

Es ist ein junger Trend, der vor wenigen Jahren aus den USA in deutsche Großstädte schwappte. Yarn-Bombing oder Guerilla-Knitting nennt sich die neue Art der Straßenkunst. Die Szene bezeichnet sie auch als gestricktes oder weiches Graffiti.

Die Idee hinter dem wilden Bestricken und Behäkeln von Straßenschildern, Bäumen oder Zäunen ist schnell erklärt. Den öffentlichen Raum bunter machen und dabei nichts beschädigen - das war der Plan der Amerikanerin Magda Sayeg als sie vor fünf Jahren das Stricken vom Sofa auf die Straße brachte und Wollschals zu Straßenkunst machte.

Pilzi, 46 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern, gehört zur Szene. Ihr wahrer Name soll geheim bleiben. "Nur, weil uns niemand persönlich kennt, können wir frei agieren." In Nacht-und-Nebel-Aktionen zieht die "Katernberger Strickguerilla" durch Essen und das Ruhrgebiet. Begrenzungspoller bekommen Zipfelmützen, Bäume einen Schal und Parkbänke eine umstrickte Rückenlehne.

"Wir wollten etwas anderes Stricken als Pullis. Etwas Verrücktes", erklärt die 46-Jährige, die seit ihrer Kindheit strickt. Sie kannte den amerikanischen Straßen-Strick. In einem Katernberger Wollgeschäft schloss sich die Gruppe von Frauen im Alter von 19 bis 72 Jahren und einem Mann zusammen. "Es ist eine sehr schöne künstlerische Bewegung", findet Pilzi. Wenn Passanten an ihrem Strickwerk vorbeigehen und lächeln, ist das die schönste Belohnung für viele Stunden Arbeit.

"Die Idee ist vom Ort abhängig", berichtet Pilzi. Die Vorgehensweise ist immer dieselbe. Vor Ort wird Maß genommen vom Objekt. Gestrickt wird zu Hause. Schließlich kehrt die Guerilla mit dem fertigen Stück zurück, um es am Objekt zu befestigen.

Nicht nur das Ruhrgebiet wird umstrickt. Auch im Bergischen Land sind Guerilla-Stricker unterwegs. Ute Lennartz-Lembeck und Judith Mennenöh aus Remscheid haben vor drei Wochen ihren ersten Haltestellenmast umstrickt. "Man gibt etwas an die Stadt, das man liebevoll gemacht hat", beschreibt die Honorarkraft an der Remscheider Musikschule. Ihr gefällt die Idee der "weichen Variante zum Beschmieren der Wände". Das Grau soll raus aus den Städten.

Dass das gestrickte Graffiti nicht unbedingt legal ist, weiß die 50-Jährige. "Man bewegt sich in einer Grauzone." In den meisten Städte werde diese Art von Straßenkunst jedoch geduldet.

Ob Essen, Remscheid oder Berlin: Die Strick-Guerilla arbeitet im Verborgenen. Wer sie sind, verraten sie in der Regel nicht. Aber wer aufmerksam durch die Stadt geht, entdeckt ihre bunten Werke.

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