Tagesschau: Das Rascheln der Geschichte

Ein Gong und dann die Nachrichten, vom Blatt abgelesen. Die Sprecher der „Tagesschau“ sind Fernseh-Ikonen.

Düsseldorf. Es war, als sei er selbst gar nicht gemeint, als verkünde er nur irgendeine Nachricht, wie er es schon hunderttausendfach getan hatte. „Und nun noch eine Personalie. Sie betrifft die ,Tagesschau’ und ist von morgen an wirksam.“ Karl-Heinz Köpcke blickt herunter, legt raschelnd das Papier zur Seite — das war’s. „Mister Tagesschau“ hatte am 10. September 1987, seinem 65. Geburtstag, seine letzten Sätze als Chefsprecher vom Blatt abgelesen. Regungslos. Dann steuerte NDR-Intendant Peter Schiwy noch ein paar Worte bei, Köpcke saß nachdenklich lächelnd daneben.

Keine Grußworte, wie sie Dagmar Berghoff am Silvesterabend 1999 mit Tränen in den Augen ans Publikum richtete. Unpersönlicher kann man nach 28 Jahren seinen Abschied vom Bildschirm nicht feiern. Das passte zum kühlen, eigenwilligen Köpcke, der 1978, bei der Premiere der „Tagesthemen“, raschelnd seinen Unmut darüber kundtat, dass er als Sprecher am Katzentisch neben dem Moderator saß.

Am 26. Dezember 1952 war die „Tagesschau“ das erste Mal ausgestrahlt worden, mit Bildern von der „Wochenschau“ und einem Kommentar aus dem Off. Einen Sprecher im Bild gab es erst seit dem 2. März 1959. Er hieß Karl-Heinz Köpcke, der Mann, der um 20 Uhr in Deutschland den Feierabend einläutete.

Sein Abschied ist 25 Jahre her, aber immer noch wird Köpcke in Umfragen zum beliebtesten Sprecher gewählt. „Guten Abend, meine Damen und Herren.“ Diese Stimme hat sich eingenistet im Gehörgang, denn Köpcke war der zuverlässigste Gast in deutschen Wohnzimmern. Immer pünktlich, überaus korrekt gekleidet, ernst — ein Mann, der die Nachrichten genauso neutral vorlas, wie sie formuliert sein sollten.

„Die können die Nachrichten in Latein verlesen mit zwei brennenden Kerzen, und die Sendung hätte immer noch gute Einschaltquoten“, hat mal Helmut Thoma als RTL-Chef neidisch angemerkt. Die Köpfe haben gewechselt, neben dem Papier hilft auch ein Teleprompter, aber das Sprecher-Prinzip ist geblieben.

Oder auch Sprecherinnen-Prinzip. Denn am 16. Juni 1976 fiel die Männer-Domäne. Dagmar Berghoff war die erste Frau im Nachrichten-Heiligtum der ARD. Mit Berghoffs weicher Stimme zog etwas Wärme ins Geschäft ein, aber ansonsten galten für sie dieselben Regeln, auch diese vertraglich festgezurrte Vorschrift: Keine Skandale! „Sorgen Sie mal dafür, dass Sie aus den Schlagzeilen kommen“, habe der Intendant zu ihr gesagt, als ihr die Presse „unzählige Verhältnisse andichtete“, erinnerte sich die bis 1991 unverheiratete Berghoff.

Erotische Fotos (Susan Stahnke) oder seltsame Äußerungen über die Familienpolitik der Nationalsozialisten (Eva Herman) konnten „Tagesschau“-Karrieren beenden. Auch Werbung verträgt sich nicht gut mit diesem Beruf. Aber ein bisschen Glanz nebenbei hält die „Tagesschau“ mittlerweile aus. Gerne mit der attraktiven Judith Rakers, die für die Moderation des Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf gar den Deutschen Fernsehpreis erhielt.

Auf die mit 30 Jahren längste Karriere als Sprecher (1974 bis 2004) kann Jo Brauner zurückblicken. Er war in der DDR aufgewachsen und 1958 in den Westen geflüchtet. Ironie der Weltgeschichte, dass Brauner Dienst hatte, als die Mauer fiel. Aber auch diese Nachricht wurde wie jede andere verlesen: nüchtern.

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