Trend: Mode unter der Gürtellinie

Der Schnitt im Schritt: Jugendliche finden es ganz normal, sich die Schamhaare abzurasieren.

Düsseldorf/Leipzig. Darf’s auch etwas weniger sein? Viele Eltern und manche unbedarfte Saunabesucher nehmen verblüfft zur Kenntnis: Das Modediktat hat den Genitalbereich erreicht, Intimrasuren sind in.

Der "Zeit" war das Thema ein ganzes Dossier wert, der "Spiegel" folgte mit einer launigen Betrachtung. Und in der "Bravo", dem Leitfaden für verunsicherte Teenager, präsentieren sich in jeder Ausgabe ein nackter Junge und ein nacktes Mädchen fast oder ganz haarlos.

Gezwirbelt, gezupft und geschnitten wurde an den Überbleibseln aus pelzigen Urmensch-Zeiten schon im alten Ägypten. Haupthaar und Bart durften seither zumindest in besseren Kreisen nie so hängen, wie sie hervorsprießen. Frauen unterliegen seit Jahrzehnten zusätzlich dem Diktat, sich unter den Achseln und an den Beinen zu rasieren.

Mittlerweile laufen aber auch Fußballer, die sich als Sexsymbol profilieren wollen, babyglatt an Rücken, Brust und Beinen auf. David Beckham und Cristiano Ronaldo machten es vor. Luca Toni zog in diesem Sommer nach.

Til Schweiger wirbt in einem Spot offensiv für die Brustrasur. Und Hollywood setzt derzeit lieber auf den Milchbubi-Charme von Zac Effron und Robert Pattinson als auf wilde, sprich struppige Kerle wie George Clooney und Bruce Willis.

Die Schauspielerin Kate Winslet erzählte, sie habe für die Nacktszenen im Film "Der Vorleser" ein Schamhaar-Toupet bekommen. Der Film sollte einen authentischen Eindruck des 50er-Jahre-Deutschlands vermitteln - und da hatten Schere oder Rasierer im Schritt wenig zu suchen. "Doch nach jahrelangem Waxing wächst es nun mal - wie alle Mädels wissen - nicht genauso nach wie früher", sagte Winslet.

Der Trend ist nicht zu übersehen, kommt aber auch nicht von ungefähr. Er wird geschürt durch immer neue Studien, in Auftrag gegeben von sicher nicht ganz uninteressierten Rasierklingen-Herstellern.

Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat erfragt, dass sich fast jede zweite Frau die Bikini-Zone rasiert - ob kleines Dreieck, schmaler Strich, exakte Raute oder eine extravagante Form wie Herz, Pfeil, Zacken oder Blitz.

28 Prozent davon bevorzugen es demnach ganz glatt. Der Studie zufolge mögen 31 Prozent der Männer genau das bei Frauen. Auf der anderen Seite wollen angeblich 61,9 Prozent der Frauen, dass sich Männer auch im Intimbereich rasieren.

Unübersehbar ist, dass der Enthaarungsdrang sich in dem Maße ausbreitet, wie die Bekleidung knapper wird. Mancher hat sich möglicherweise auch von Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete" anregen lassen.

In der Studie des Leipziger Medizinsoziologen Elmar Brähler wird deutlich, dass Intimrasuren insbesondere unter jungen Menschen verbreitet sind. Der Druck auf Heranwachsende ist wie in fast allen Modefragen massiv.

Frühere Teenager-Generationen warteten sehnsüchtig darauf, dass überhaupt etwas sprießt an Achsel und Scham. Doch kaum wagt sich heute etwas hervor, muss es auch schon wieder weg. Als Hauptgründe für den Schnitt im Schritt geben die Befragten an, die nackte Haut sehe einfach besser und gepflegter aus, die Haare seien eklig.

Aufgeschreckte Eltern mag beruhigen, dass dieser Modetrend kaum etwas kostet und im Gegensatz zu Tätowierungen und wüsten Piercings innerhalb weniger Wochen rückgängig zu machen ist, ohne dass noch irgendetwas daran erinnert.

Allerdings bleibt es oft nicht bei der schlichten Rasur. Denn mit den Haaren wird offenbar auch der letzte Rest eines natürlichen Körpergefühls gekappt. Jugendpädagogen von Pro Familia berichten, dass eine Menge Jungs den Penis mit parfümierten Tinkturen bestreichen. Mädchen setzen auf Scheidenspülungen.

Und ist der Blick auf den Genitalbereich erst einmal prüfenden Blicken ausgesetzt, ergeben sich neue Unsicherheiten - keineswegs nur für Jugendliche. Und die führen manchen geradewegs zum Schönheits-Chirurgen, auf dass er untenrum strafft oder vergrößert.

Zum Modediktat im Genitalbereich hält Mediensoziologe Brähler aber einen kleinen Trost bereit. Der Gegentrend komme bestimmt: "Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick gelten." In Teilen der Schwulen-Szene, die bei der Haarlosigkeit Vorreiter war, sei es schon wieder so weit.

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