Umsiedlung wegen Tagebau: Leben im Geisterdorf Borschemich

Die Tage von Borschemich sind gezählt, der Tagebau rückt näher. Unsere Zeitung hat einen der letzten Bewohner in seiner Burg besucht.

Erkelenz/Borschemich. Es ist still. Und ein bisschen unheimlich. Kein Auto, kein Mensch auf der Straße. Es ist Nachmittag und an vielen Häusern in Borschemich sind die Rollläden heruntergelassen. Nur in Haus Paland brennt Licht.

Wilfried Lörkens schaut aus dem Fenster, als ein Auto über die Kiesauffahrt kommt. Bei Fremden ist er skeptisch. „Vor der Kirche haben sie die Lampen geklaut, bei den Nachbarn die Rollläden mitgehen lassen und sogar Kupferrohre ausgebaut“, sagt der 61-Jährige.

Borschemich stirbt langsam aus. Grund ist die Braunkohle unter der Erde. Der Energieriese RWE Power will sie abbauen, Bewohner und Häuser müssen weichen. Bis 2015 haben sie eine Galgenfrist, dann soll die Umsiedlung abgeschlossen sein. „Bergbauliche Inanspruchnahme“ heißt das in nüchterner Sprache des Erkelenz-Vertrags.

Die meisten Borschemicher sind bereits umgezogen, rund die Hälfte — schätzt Lörkens — in das neue Dorf, das zehn Kilometer entfernt aufgebaut worden ist. Der Rest hat sich woanders eine neue Heimat gesucht. Mit Lörkens, der Mitglied im Erkelenzer Stadtrat ist, halten noch etwa 180 Menschen die Stellung. „Wir waren einmal 600.“

Wilfried Lörkens ist fast mit jedem Dorfbewohner per Du. Er ist in Borschemich geboren — auf Haus Paland. Die Wasserburg aus der Zeit um 1600 ist seit mehr als 180 Jahren im Besitz seiner Familie. Hier ist er aufgewachsen, hier hat seine Tochter im Garten gespielt.

In drei bis vier Jahren wird von dem denkmalgeschützten Gebäude nichts mehr übrig sein. „Das ist ein furchtbares Gefühl.“ Wie sehr Lörkens an den historischen Mauern hängt, merkt man auch daran, dass er noch keinen richtigen Plan für danach hat. Er verdrängt die Zukunft.

„Ich bin noch in Verhandlungen mit RWE.“ Was ist ein Stück Familiengeschichte wert? Das ist eine Frage, um die noch gerungen wird. Eines steht schon fest: Burgherr wird er nicht mehr sein. Gerne würde er ins neue Dorf ziehen, wegen der Gemeinschaft. Aber ein Neubau? Das ist eigentlich nichts für ihn.

„Da vorne kann man im Sommer herrlich im Schatten sitzen“, sagt Lörkens und zeigt auf ein Plätzchen neben der ehemaligen Scheune. Er lächelt kurz. Hinter seinem Grundstück führt ein Weg zur Kirche. Auch sie muss dem Tagebau weichen. „Die Heiligenfiguren sind bereits umgezogen“ — im Park hinter dem Backsteingebäude stehen leere Sockel. Nur ein Grablicht ist übrig. Es flackert im Wind.

Auf dem nahe gelegenen Friedhof empfängt ein meterhohes graues Grabkreuz die Besucher: „Ruhestätte der Familie Lörkens seit 1826 Haus Paland“ lautet die Inschrift. „Ganze Generationen unserer Familie liegen hier begraben“, sagt Lörkens. Er müsse mal wieder die Buchsbaumhecke schneiden, flüstert er.

Das Grab soll gepflegt aussehen, auch wenn die Umbettung der Toten bevor steht. Einige Gräber sind bereits leer, über die aufgewühlte Erde ist schon etwas Moos gewachsen. Auf anderen stehen Holztafeln, darauf ist die neue Adresse der letzten Ruhestätte verzeichnet: Borschemich (neu), 257-258 tief.

Lörkens deutet auf Bagger, die sich hinter dem Friedhof durch große Gewächshäuser arbeiten: „Da fallen die ersten Gebäude.“

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