...und plötzlich in der Psychiatrie

Statistik: Die Zahl der zwangsweisen Einweisungen in psychiatrische Kliniken in NRW steigt alarmierend.

Düsseldorf. Ein Arzt schlägt Alarm: "21185 Menschen wurden im Jahr 2008 in NRW gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik untergebracht - das ist ein trauriger Rekord." Dr.Stefan Romberg, Facharzt für Nervenheilkunde und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, fordert strengere und häufigere Kontrollen, um die Notwendigkeit und die Rechtmäßigkeit solcher Zwangseinweisungen besser zu überprüfen.

Statistisch habe im Jahr 2008 die Quote in NRW bei 1,18 Zwangseinweisungen pro 1000 Einwohner gelegen, sagt Romberg. Im Jahr zuvor lag sie noch bei 1,13. Erschreckend seien jedoch die regionalen Unterschiede: Die höchsten Quoten in NRW verzeichnen Remscheid mit 3,51, Bonn mit 2,56 und Krefeld mit 2,47 Einweisungen pro 1000 Einwohner. Romberg: "Ich finde es beängstigend, wenn das Risiko, dass ein Mensch gegen seinen Willen in einer Klinik untergebracht wird, in Remscheid zwölf Mal so hoch ist wie im 50 Kilometer entfernten Bochum, das eine Quote von lediglich 0,29 hat."

Häufigste Gründe für eine zwangsweise Einweisung in die geschlossene Abteilung einer Nervenklinik durch Ärzte oder Gesundheitsämter sind Eigengefährdungen der Betroffenen, etwa bei Suizid-Absicht. Aber auch bei sogenannter Fremdgefährdung - beispielsweise bei einer Amok-Drohung - können psychisch Kranke zwangsweise in einer Psychiatrie untergebracht werden.

Aber: Von Zwangseinweisungen können - irrtümlich - auch geistig Gesunde betroffen sein, wie vor einiger Zeit eine Düsseldorfer Rentnerin. Die damals 85-Jährige war mit einem Beinbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden, hatte als Ursache angegeben: "Ich wurde im Treppenhaus von einem Skifahrer überfahren." Für den Arzt war die Diagnose klar: Ab in die Psychiatrie...

Doch die Frau hatte die Wahrheit gesprochen: Ein übermütiger junger Mieter war unter dem Gejohle seiner Freunde mit Skiern die Treppe hinab gesaust, dabei mit der Rentnerin zusammengeprallt. Erst als er sich nach zwei Tagen mit einem Blumenstrauß entschuldigen wollte, kam die irrtümliche Zwangseinweisung heraus, und die alte Dame wurde aus der Psychiatrie entlassen.

"Jede Einweisung gegen den Willen des Betroffenen ist ein enormer Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen und bedarf genauester Prüfung", sagt Romberg. Er fordert, dass die staatliche Besuchskommission, die Zwangseinweisungen überprüft, in Kommunen mit hohen Zwangseinweisungsquoten noch häufiger kontrolliert als bisher - und vor allem unangemeldet. Romberg: "Auch die psychiatrischen Kliniken, die Krisendienste und Ärzte sind in der Pflicht, die Anzahl der Zwangseinweisungen durch bessere tagesklinische Versorgung zu senken."

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