Wildgände: Faszinierende, teure Wintergäste

Die am Niederrhein überwinternden Wildgänse sind eine Attraktion für Naturfreunde. Und eine Last für Landwirte.

Kleve. Friedhelm Wiegersma erkennt die Gäste aus dem hohen Norden sofort. „Da sind Blässgänse und dort Saatgänse!“ Zu Hunderten haben sich die Gänse aus der Arktis bei Kleve auf einem Feld mit kleinen, zarten, grünen Rapspflanzen niedergelassen und futtern munter drauflos. Der Vogelschwarm am Boden, dahinter ein Kirchturm, dicke Bäume und Bauernhäuser — eine Postkarten-Idylle. Aber Landwirt Wiegersma ist überhaupt nicht verzaubert. Denn die Wildgänse aus Sibirien suchen ihr Futter auf den frisch ausgesäten Feldern. „Die Stimmung ist aufgeheizt unter den Kollegen“, berichtet der baumlange, kräftige Bauer.

Seit den 60er Jahren haben Wildgänse aus Sibirien in der kalten Jahreszeit ihr Quartier auf dem flachen, nördlichen Landstrich am Rhein. An die 180 000 Vögel waren es im vorigen Jahr. Wenn deutsche Rentner am milden Mittelmeer überwintern, fliegt das seltene Federvieh bis zu 6000 Kilometer in den vergleichsweise warmen westdeutschen Winter.

Die Exoten aus dem Permafrost sind zur Attraktion für naturbegeisterte Touristen geworden: In Scharen pilgern sie zu den Rastplätzen von Blässgans und Singschwan, Silberreiher und Weißwangengans. Seit 20 Jahren organisiert der Naturschutzbund Nabu im Winter Exkursionen mit dem Bus, bis in den Februar hinein. 400 Anmeldungen zur „Gänse-Bussafari“ gibt es schon.

Wiegersma und seine Kollegen bekommen vom Land NRW eine Entschädigung für das, was die Gänse auf den Feldern wegfuttern. Im vorigen Winter waren die Verluste enorm. „Es sieht dann wie rasiert aus auf der Fläche“, berichtet der 61-Jährige. Die Schadenssumme schwankt laut Landwirtschaftskammer zwischen zwei und vier Millionen Euro pro Jahr. Es werde nur ausgeglichen, was die Gänse den Landwirten auf den Feldern weggefressen haben, sagt Heinrich Schnetger aus der Kreisstelle der Kammer. Im Frühjahr prüfen die Kammermitarbeiter in 700 landwirtschaftlichen Betrieben in den Kreisen Wesel und Kleve die Schäden. Ausgezahlt wird im Dezember.

Es wurmt Wiegersma, dass in den Niederlanden — nur 2,5 Kilometer von seinem Hof entfernt — die gefiederten Wintergäste geschossen werden dürfen, damit sie keine großen Schäden anrichten. Auch in anderen Bundesländern sei das erlaubt. „Gänse sind nicht blöd, die leben in großen Familienverbänden, und bleiben da, wo es ihnen gutgeht.“ Allerdings sind auch im Sommer inzwischen Nil-, Grau- oder Kanadagänse ständige Gäste am Niederrhein. Diese Schäden werden nicht ersetzt, beklagt er.

Wiegersma bewirtschaftet an die 100 Hektar. Sein Sohn Jan-Willem will den Hof übernehmen. Aber wenn es um Artenschutz und Gänse geht, fühlen sie sich nicht mehr wie Herren auf dem eigenen Hof. Irgendwann sei Schluss, meint der Landwirt und ist sich einig mit seinem Junior. „Dann verkauf ich den Laden und geh’ anderswo hin.“

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