Experte: „Die letzten Polioherde ausrotten“

Berlin (dpa) - Europa gilt seit zehn Jahren als frei von Kinderlähmung. Doch die Gefahr neuer Infektionen mit Poliomyelitis - kurz Polio - bestehe noch immer, warnt der Präsident des Robert Koch-Instituts in Berlin, Professor Reinhard Burger.

Reisende könnten die Krankheit aus Nigeria, Afghanistan oder Pakistan einschleppen. An diesem Sonntag (28. Oktober) ist Weltpoliotag.

Weltweit ist Polio so gut wie ausgerottet. Vor zehn Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Europa für poliofrei erklärt. Warum sollen wir uns trotzdem impfen lassen?

Burger: „Es gibt Polio heute noch in Afghanistan, Pakistan und Nigeria. In diesem Jahr wurden der Weltgesundheitsorganisation insgesamt 444 Fälle gemeldet. Aus diesen Ländern kann die Krankheit durch Reisende exportiert werden. Das Virus ist sehr robust und problematisch, weil die meisten Infizierten keine auffallenden Symptome zeigen. Sie können andere Menschen leicht anstecken. Deshalb ist die Impfung sehr wichtig. Wenn wir die letzten Polioherde nicht ausrotten, kann das irgendwann auch wieder eine große Bedrohung für andere Länder sein.“

Gab es in den vergangenen Jahren Fälle in anderen Ländern?

Burger: „Ein Beispiel ist der Polio-Ausbruch in Tadschikistan 2010 durch ein eingeschlepptes Virus, das auch in Russland, Kasachstan und Turkmenistan weiterverbreitet wurde. Insgesamt wurden damals 475 Poliofälle in diesen vier zur WHO-Region Europa zählenden Ländern registriert. Sofortige nationale Impfkampagnen verhinderten die weitere Ausbreitung der Erreger. Damit blieb die WHO-Region Europa poliofrei.“

Warum ist es immer noch nicht gelungen, die Kinderlähmung endgültig zu bekämpfen?

Burger: „Die betroffenen Länder haben schwierige Strukturen im Gesundheitswesen, und die Lage ist politisch instabil. Dort ist es sehr schwer, die Kinder zu erreichen und flächendeckend zu impfen. Es kommen auch ideologische Aspekte dazu. In Pakistan sollen Taliban Impfaktionen blockiert haben. Dort wurde auch ein Impfhelfer erschossen. Wir dürfen aber jetzt nicht nachlassen. Die Erfahrungen zeigen, dass man durch organisiertes Vorgehen Polio auch in einem Land mit schwieriger Infrastruktur ausrotten kann: Indien war im 2011 erstmals seit langem poliofrei.“

Fürchten Sie, dass die Impfquote hierzulande sinkt, weil die Krankheit augenscheinlich nicht mehr existiert?

Burger: „Die Impfquote bei Schulanfängern liegt in Deutschland bei etwa 95 Prozent. Damit können wir gut leben. Die Quote sollte nur nicht fallen, denn dann könnte sich das Virus verbreiten, wenn Polio eingeschleppt wird. Es ist eine sehr schwere Krankheit, die nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene treffen kann.“

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