Organisiertes Verbrechen Das Milliarden-Geschäft mit dem Menschenhandel

Mit dem Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission können die europäischen Regierungschefs im Mittelmeer weder Europa vor unkontrollierter Einwanderung noch die Flüchtlinge vor dem Tod schützen.

Hilflos und gefangen in ihrer verfehlten Flüchtlingspolitik: Die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie ihre arabischen und afrikanischen Ansprechpartner werden von den Ereignissen auf dem Mittelmeer getrieben und flüchten sich nun in Aktionismus.

Hilflos und gefangen in ihrer verfehlten Flüchtlingspolitik: Die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie ihre arabischen und afrikanischen Ansprechpartner werden von den Ereignissen auf dem Mittelmeer getrieben und flüchten sich nun in Aktionismus.

Foto: dpa,Bildmontage/Grafik:klxm.de

Düsseldorf. Von den acht Haupt-Routen, auf denen Menschenhändler illegale Einwanderer nach Europa schleusen, führen fünf über das Mittelmeer. In den ersten drei Monaten des Jahres hat die europäische Grenzschutzagentur Frontex auf diesen fünf Routen 25388 illegale Einreisen in die EU festgestellt.

Selbst bei einer Verzehnfachung der „Triton“-Mittel wäre die EU ohne robustes militärisches Mandat nicht in der Lage, die regelrechten Flotten der Schleuser-Boote frühzeitig und nicht erst nach Tagen auf dem Meer abzufangen. Über die libysche „Central Mediterranean Route“ erreichten 2014 mehr als 170000 illegale Immigranten Italien. Laut Frontex ist dies (bislang) der größte Einwanderungs-Zustrom in ein einzelnes EU-Land seit dem Bestehen der Europäischen Gemeinschaft.

Während die westliche Staatengemeinschaft von den Toten auf dem Meer geschockt ist, reagiert das organisierte Verbrechen marktwirtschaftlich: Auf der lebensgefährlichen libyschen Billig-Route werden die Preise weiter sinken — aber die Nachfrage nicht. Die italienische Regierung geht von einem Potential von einer Million Flüchtlinge aus.

Abkommen mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi Die meisten Menschen, die aktuell auf dieser Route nach Europa wollen, stammen aus Gambia, dem Senegal und aus Somalia. Aufgrund der Küstennähe zu Sizilien und Malta ist Libyen seit Jahrzehnten ein Drehkreuz des organisierten Verbrechens im Menschenhandel mit afrikanischen Flüchtlingen. Als ihre Zahl im Jahr 2008 auf fast 40000 anstieg, schloss Italien ein

Abkommen mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi

Da Libyen für Afrikaner gute Job-Möglichkeiten bot, blieben viele im Land und gaben die Weiterreise nach Europa zunächst auf. Mit dem Beginn des libyschen Staatszerfalls und Unruhen in Tunesien kamen 2011 jedoch plötzlich wieder mehr als 64000Menschen über die zentrale Mittelmeer-Route. Zwei Drittel von ihnen waren Schwarzafrikaner, die Gaddafi auf diesem Weg nun aus dem Land drängte.

Erst als 2013 im Oktober vor Lampedusa 366 Flüchtlinge starben, startete Italien bei monatlichen Kosten von rund 9,3 Millionen Euro ohne jede europäische Unterstützung die Marine-Operation „Mare Nostrum“, die mutmaßlich 140000Boots-Flüchtlingen das Leben rettete. Die EU übernahm die Überwachung mit „Triton“ im vergangenen Herbst.

Handel mit Menschen nach Drogen und Waffen am lukrativsten

Da der Menschenhandel auf dem Mittelmeer aber ein Saison-Geschäft von April bis September ist, zeigt sich erst jetzt, wie dramatisch wirkungslos der heimatküstennahe Einsatz von sieben Schiffen, vier Flugzeugen und eines Hubschraubers ist. Denn direkt nach dem Handel mit Drogen und Waffen ist der Handel mit Menschen weltweit das drittlukrativste Geschäftsfeld, auf dem sich das organisierte Verbrechen betätigen kann, zumal die Grenzen zwischen Menschen-Schmuggel und Sklavenhandel fließend sind.

Wie die Menschenhändler vorgehen, welche Umsätze sie machen und wie ausgeklügelt ihr banken-freier Geldtransfer international funktioniert, beschreibt der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola in seinem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“, das im Februar auf Deutsch erschienen ist.

Der Dozent der Uni Trient hat dafür gemeinsam mit einem Journalisten Schleuser, Handlanger und Hintermänner aufgesucht und detailliert die Mechanismen des Milliarden-Geschäfts beschrieben, das von teils namentlich bekannten Multimillionären gesteuert wird. Di Nicola spricht von den „größten und erbarmungslosesten Reiseveranstaltern der Welt“.

Die Mehrzahl der illegalen Einwanderer kommt per Flugzeug

In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Ausmaß des Menschenhandels vervierfacht und er galt laut einer Studie von Europol bereits 2005 als der Verbrechens-Sektor mit der höchsten Zuwachsrate. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt den Profit aus dem Menschenhandel weltweit auf jährlich rund 32Milliarden Dollar.

Das Portal www.havocscope.com trägt auf Grundlage öffentlich zugänglicher und überprüfbarer Daten globale Schwarzmarkt-Informationen zusammen. Demnach kostet es für Pakistaner zwischen 18000 und 26000 Dollar illegal in die USA einzureisen, die Preise für den Weg von Marokko nach Europa liegen zwischen 8000 und 40000 Dollar; auf der libyschen Billig-Route kostet die Überfahrt aktuell höchstens 1500 Dollar.

Schon allein aufgrund der unerträglichen Bilder Ertrinkender werden sich die EU-Bemühungen jetzt auf die lybische Central-Route konzentrieren. Wie in westlichen Medien-Demokratien üblich, droht zugleich die Gefahr, dass das eigentliche Flüchtlingsproblem damit aus dem Blickfeld gerät. Laut Frontex wird die Mehrzahl der illegalen Einwanderer weder auf dem Seeweg noch auf den östlichen Land-Routen, sondern per Flugzeug über die rund 600Flughäfen in die EU geschleust.

Im Schnitt hat ein EU-Grenzbeamte bei der Einreise pro Passagier zwölf Sekunden Zeit, um zu beurteilen, ob ein Nicht-EU-Bürger mit echten oder gefälschten Papieren einreist.

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