EU-Kommission fährt nicht zur EM

Berlin/Kiew (dpa) - Fußball-EM-Gastgeber Ukraine gerät wegen seines Umgangs mit der schwerkranken inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko immer stärker ins Abseits. Sämtliche 27 Mitglieder der EU-Kommission werden den Spielen der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine fernbleiben.

Das teilte ein Sprecher der Kommission am Donnerstag in Brüssel mit. Es handele sich „nicht um einen Boykott, sondern um ein Signal, dass man nicht zufrieden ist mit der Art und Weise, wie mit Julia Timoschenko umgegangen wird“.

Barroso habe im Kreis der EU-Kommissare erläutert, warum er nicht in die Ukraine reisen werde. In der Aussprache sei „deutlich geworden, dass dies eine Position ist, die alle angesichts der Behandlung von Frau Timoschenko teilen“. In der Kommission sei unstrittig gewesen, „dass es nicht angemessen ist, sich ein Spiel in der Ukraine anzuschauen, solange diese Bedenken bestehen“.

Inzwischen sagten auch weitere EU-Staatspräsidenten ein für Mitte Mai geplantes Treffen in der Ukraine ab. Im Co-Gastgeberland Polen spaltet die Debatte die Politik. Die Opposition fordert einen Boykott der Ukraine während der EM. Das hält die Regierung für falsch.

Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch der gewählte russische Präsident Wladimir Putin boten eine ärztliche Behandlung Timoschenkos in ihren Ländern an. Die 51-Jährige Timoschenko, die an einem chronischen Bandscheibenvorfall leidet, appellierte über ihre Tochter Jewgenija an das Ausland, den Druck auf Präsident Viktor Janukowitsch aufrechtzuerhalten.

Merkel ließ weiter offen, ob sie für EM-Spiele in die ehemalige Sowjetrepublik reisen wird. „So etwas entscheide ich immer kurzfristig“, sagte sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag). Allerdings gilt es in der Bundesregierung als unvorstellbar, dass Merkel neben Janukowitsch bei einem Fußballspiel sitzt, sollte sich die Lage für Timoschenko bis zur EM nicht verbessert haben. Die Kanzlerin sagte, es sei wichtig, alles dafür zu tun, dass Timoschenko schnell die richtige Behandlung für ihre Erkrankung bekommt. Die rechtsstaatliche Lage in der Ukraine gebe Grund zur Sorge.

Putin erklärte, Moskau übernehme die erkrankte Oppositionsführerin „gerne“, falls sie selbst dies wünsche und die Führung in Kiew zustimme. Er kritisierte erneut die Verurteilung Timoschenkos zu sieben Jahren Haft wegen eines angeblich fehlerhaften Gasvertrags mit Russland. Das Abkommen sei rechtens. Putin kritisierte aber westliche Politiker für ihren angekündigten Boykott der Fußball-EM.

Auch die Ukraine verurteilt die Boykottaufrufe. „Das Außenministerium hält die Versuche einer Politisierung von Sportereignissen für destruktiv“, teilte das Ministerium in Kiew mit. Kritik an den Boykottaufrufen kam auch vom Präsidenten des Fußball-Weltverbandes FIFA, Joseph S. Blatter. „Die Politiker sollten sich jetzt beziehen auf die Werte des Sports. Und bevor sie von Boykott sprechen, sollte man sich überlegen, was das nach sich zieht“, sagte er dem Deutschen Anleger Fernsehen in St. Gallen.

Jewgenija Timoschenko sagte, ihre Mutter setze ihren am 20. April begonnenen Hungerstreik trotz zunehmender Schwächung fort. „Sie ist nach zwei Wochen Hungerstreik sehr schwach, sagt aber, dass sie den Kampf nicht abbrechen will.“ Der Deutschen Welle sagte die Tochter: „Die Situation ist nicht auszuhalten. Weder die Politiker in Europa noch die Menschen in der Ukraine haben erwartet, dass die Lage sich bei uns so entwickelt, dass wir bald in einem totalitären Land leben.“

Der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski sprach sich für einen Boykott der Ukraine während der EM aus. Der Druck auf das Nachbarland müsse verstärkt werden. Der liberal-konservative Regierungschef Donald Tusk hält einen Boykott dagegen für ungeeignet. „Wir finden andere Möglichkeiten, Druck auszuüben, damit die Angelegenheit Timoschenko auf humanitäre Weise gelöst wird.“

Die Staatspräsidenten von Lettland, Estland und Rumänien sagten ihre Reisen zum Treffen der mittel- und südosteuropäischen Staatschefs im ukrainischen Jalta am 11. und 12. Mai ab.

Unterdessen setzt der Sportartikelhersteller Adidas große Hoffnungen in sein Fußballgeschäft. „Wir haben das klare Ziel eines neuen Umsatzrekordes für Fußball“, sagte Firmenchef Herbert Hainer in Herzogenaurach. Die Debatte um Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine und einen möglichen Boykott der EM durch Politiker schmälerten den positiven Einfluss der EM auf die Absatzzahlen nicht.

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