Gedankenspiele: Die Wallonie wird französisch

Spekulationen über eine Wiedervereinigung. 66 Prozent der Franzosen sind für eine Eingliederung.

Paris. Belgien ist ihr Vaterland. Doch lieber singen sie mit voller Brust die „Marseillaise“. Und statt Schwarz-Gelb-Rot schwenken sie die französische Trikolore — eine mit dem roten wallonischen Hahn auf weißem Untergrund. „Es reicht“, sagen die Männer und Frauen der wallonisch-französischen Sammlungsbewegung RWF. Angesichts des drohenden Zerfalls Belgiens haben sie nur eines im Sinn: die „Wiedervereinigung“ der Wallonie samt Brüssel mit Frankreich.

Für den Juristen Paul-Henry Gendebien (71), den Präsidenten des „Rassemblement Wallonie-France“, einer Splittergruppen, ginge an dem Tag, an dem er den französischen Pass in Händen hielte, ein Lebenstraum in Erfüllung. Je tiefer nationalistische Flamen den Spaltkeil ins zerbrechliche Königreich treiben, desto emsiger rütteln auch separatistische Wallonen am wackelnden Thron König Alberts des Zweiten.

Und wie reagieren die Franzosen auf den nicht unwahrscheinlichen Zerfall des Nachbarn, der seit 230 Tagen ohne Regierung dasteht? Das offizielle Frankreich hüllt sich in Schweigen. Stattdessen ergreift die zweite Reihe das Wort, und die reagiert — von links bis rechts — sehr im Sinne Paul-Henry Gendebiens. „Wenn die frankophonen Belgier es wünschen, werden die Franzosen selbstverständlich bereit sein, sie an die Brust der Republik zu nehmen“, sagt etwa der angesehene Linkssozialist Jean-Pierre Chevènement, der schon unter Mitterrand als Minister diente.

Pariser Intellektuelle bringen historische Argumente ins Spiel. Der streitbare Publizist Eric Zemmour etwa stellt die Existenz Belgiens grundsätzlich in Frage. Der 1830 geschaffene Pufferstaat sei ein künstliches Geschöpf, das einzig wegen der Niederlage Napoléons das Licht der Welt erblickt habe. Inzwischen sprechen sich 66 Prozent der Franzosen dafür aus, die Wallonie der französischen Republik anzugliedern.

Martine Aubry, die Nummer eins der französischen Sozialisten und mögliche Präsidentschaftskandidatin, schickte Emissäre nach Belgien, die aber mit einer verstörenden Botschaft zurückkehrten. Zwar strebten die belgischen Sozialisten als „Plan B“ einen eigenständigen Staat „Wallo-Brux“ an, doch die Landesverteidigung möge doch bitte die „Grande Nation“ übernehmen.

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