Aleppo unter Feuer: Bürgerkriegsfronten in Wohngebieten

Damaskus/Beirut (dpa) - In der hart umkämpften syrischen Millionenmetropole Aleppo wird die Lage der Zivilbevölkerung immer katastrophaler. Den vierten Tag in Folge lieferten sich Aufständische und Regimetruppen erbitterte Gefechte.

Hunderttausende sind bereits geflohen, viele andere sitzen fest.

Die unübersichtlichen Fronten ziehen sich mitten durch Wohngebiete. Nach UN-Angaben leiden mindestens zwei Millionen Menschen unter der Gewalt im Land. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte vor einem religiös motivierten Bürgerkrieg und einem Flächenbrand in der Region.

Die Aufständischen kämpften sich in Aleppo nach eigenen Angaben Richtung Stadtzentrum voran. Das Militär beschoss die Viertel in Rebellenhand mit Artillerie und Hubschraubern. Nach Angaben von Aktivisten droht eine humanitäre Katastrophe. Mindestens 70 Menschen starben in Syrien binnen weniger Stunden. Allein etwa 40 Polizisten sollen nach Angaben der syrischen Menschenrechtsbeobachter in Aleppo getötet worden sein, als Hunderte Rebellen in mehrstündigem Kampf zwei Polizeistationen in den Vierteln Salihin und Bab al-Nairab eroberten.

„Wir schieben nun die Front in Richtung Stadtzentrum vor“, sagte Abu Omar al-Halebi, ein örtlicher Kommandeur der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA), der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. Nach Halebis Darstellung attackierten die Kämpfer weitere zentrale Einrichtungen des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad, darunter das Militärkrankenhaus und das Hauptquartier der herrschenden Baath-Partei. Die Angaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen, weil Journalisten und andere Beobachter unter den Kriegsbedingungen kaum arbeiten können.

Der syrische Dissident und Menschenrechtsanwalt Haitham al-Maleh erklärte indessen, ein neues Oppositionsbündnis habe ihn mit der Bildung einer syrischen Exil-Regierung mit Sitz in Kairo beauftragt. Er werde „mit allen Kräften der Opposition sprechen“, sagte Al-Maleh bei einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt. Der 70 Jahre alte ehemalige Richter ist ein langjähriger Kritiker des Assad-Regimes. Aus politischen Gründen saß er mehrfach im Gefängnis. Zuvor hatte bereits der oppositionelle Syrische Nationalrat Gespräche zur Bildung einer Übergangsregierung im Exil angekündigt. In Aleppo versuchen die Regierungstruppen seit Samstag, die Aufständischen mit einer Großoffensive aus der strategisch wichtigen Handelsstadt zurückzudrängen. Bisher scheint das Regime vor allem auf Bombardements aus der Luft und Artilleriebeschuss zu setzen, um die Aufständischen in ihren Stellungen mürbe zu machen. Die in der Stadt Zurückgebliebenen suchten zu Tausenden Schutz in Moscheen und öffentlichen Gebäuden, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Melissa Fleming, in Genf.

In der Hauptstadt Damaskus attackierten die Aufständischen nach eigenen Angaben Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte beim palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk und in den Stadtteilen Al-Tadamun und Al-Kassas. Dabei setzten sie automatische Waffen und Panzerfäuste ein, wie Aktivisten berichteten. Die Regimetruppen versuchten, die Rebellen mit Artillerie auf Distanz zu halten.

UN-Generalsekretär Ban forderte erneut ein sofortiges Ende des Blutvergießens. „Weitere Kämpfe sind nicht die Antwort. Eine weitere Militarisierung dieses Konflikts wird nur die Zerstörungen endlos fortführen und das Leid verlängern“, sagte der UN-Generalsekretär am Montag (Ortszeit) vor Journalisten in New York.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warnte die Kurden davor, in Syrien einen autonomen Staat anzustreben. Ein Eingreifen türkischer Streitkräfte schloss er nicht aus, sollte sich die Entwicklung im Nachbarland gegen nationale Interessen richten. In Syrien erlangen die jahrzehntelang unterdrückten Kurden gerade ungeahnte Freiheiten, weil die Regierungstruppen unter dem Druck des Aufstands aus dem Kurdengebiet in die Kampfzonen abziehen.

EU-Kommissarin Kristalina Georgieva forderte Gefechtspausen, damit sich Zivilisten ohne Furcht um ihr Leben aus den Kampfgebieten retten können. „Syrien gleitet in eine humanitäre Tragödie gewaltigen Ausmaßes ab“, sagte sie in Brüssel.

Markus Löning, der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, lobte bei einem Besuch in Amman die Flüchtlingshilfe in Jordanien. „Wie die Jordanier über 100 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen haben, verdient unsere besondere Anerkennung und fortgesetzte Unterstützung“, sagte er in der jordanischen Hauptstadt. Was die UN-Hilfsorganisationen in kurzer Zeit auf die Beine gestellt hätten, habe ihn beeindruckt. Das THW leiste dabei einen unverzichtbaren Beitrag für die Wasserversorgung der Flüchtlinge.

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