Machtkampf in Ägypten: Tote bei schweren Unruhen

Kairo/Berlin (dpa) - Bei den schwersten Unruhen in Ägypten seit Wochen sind in der Hauptstadt Kairo seit Freitag zehn Menschen getötet und nahezu 550 verletzt worden. Steine flogen, Verwaltungsgebäude und Barrikaden brannten, schwarzer Rauch stieg auf.

Auch am Sonntag gingen Demonstranten und Angehörige der Sicherheitskräfte rund um den Tahrir-Platz mit Steinen aufeinander los. Die Proteste richten sich gegen die Militärführung, die nach dem Sturz von Husni Mubarak im Februar die Macht übernommen hatte.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich besorgt über die Eskalation. „Die Gewalt läuft Gefahr, den Geist des Umbruchs zu ersticken“, erklärte Westerwelle am Sonntag in Berlin. „Das Schicksal Ägyptens muss sich an der Wahlurne und durch demokratische Reformen entscheiden.“ Er rief alle Konfliktparteien dazu auf, zum friedlichen Umgang miteinander zurückzukehren.

Die Militärpolizei räumte laut Augenzeugen Lager der Protestbewegung am Tahrir-Platz und vor dem Kabinettsgebäude mit Gewalt. Sie nahm zahlreiche Demonstranten fest, zündete Zelte an und verlegte Stacheldraht. Am Sonntag wurde eine Zugangsstraße mit Betonblöcken gesperrt. Dadurch sollte offenbar verhindert werden, dass die Protestierenden zum Kabinettsgebäude zurückkehren, das sie in den vergangenen drei Wochen belagert hatten.

Von Brandbomben getroffen wurde auch das Gebäude des Wissenschaftlichen Ägyptischen Instituts. Dabei verbrannten wertvolle Bücher und historisch bedeutende Original-Dokumente. Sie stammten zum Teil aus der Zeit der französischen Ägypten-Expedition unter Napoléon Bonaparte (1798-1801). Freiwillige hätten am Sonntag geholfen, rund 30 000 der insgesamt 196 000 Bücher aus der Bibliothek des Institutes zu retten, teilten Behördenvertreter mit.

Für große Empörung unter den Gegnern der Militärherrschaft sorgte die Nachricht vom Tod eines islamischen Geistlichen, der sich mit der Protestbewegung solidarisiert hatte. Hunderte von Menschen, darunter zahlreiche Politiker, nahmen an der Beerdigung von Scheich Emad Effat teil, der am Freitagabend bei den Zusammenstößen getötet worden war. Etliche Trauergäste riefen Slogans gegen den Obersten Militärrat.

Die Militärs gaben den Demonstranten die Schuld an der neuen Eskalation. Sie erklärten, die Protestierenden, die seit drei Wochen vor dem Kabinett campierten, hätten am Donnerstag einen Offizier der Militärpolizei verschleppt. Aktivisten erklärten dagegen, sie seien zuerst attackiert worden.

Ministerpräsident Kamal al-Gansuri erklärte die Demonstranten zu Konterrevolutionären. Vor der Presse in Kairo sagte er: „Was heute auf den Straßen passiert, ist keine Revolution.“ Außerdem wies er Berichte zurück, wonach die Armee mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen haben soll.

Der ägyptische Journalist Hani Schukralla erklärte via Twitter: „Der Oberste Militärrat ertränkt Ägyptens Revolution im Blut. Es zeichnet sich eine Allianz der Konterrevolutionäre ab: Militär, Polizei, Islamisten und die Überbleibsel des Regimes von Husni Mubarak.“

Linke Gruppen kritisierten die Muslimbruderschaft. Bei den Massenprotesten gegen Mubarak Anfang des Jahres habe sie noch zusammen mit ihnen demonstriert. Nun aber, da sich abzeichne, dass sie im nächsten Parlament die größte Fraktion stellen werde, schrecke sie vor weiteren Konfrontationen mit der Staatsmacht zurück.

Am 28. November hatten Parlamentswahlen begonnen, die in den 27 Provinzen an insgesamt zwölf Tagen stattfinden. In neun Provinzen ist für den kommenden Mittwoch und Donnerstag eine Stichwahl geplant. Das Endergebnis der Wahl soll am 13. Januar vorliegen.

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