Spaniens Rentner gehen für ihre Kinder und Enkel auf die Straßen

Die ältere Generation des von der Schuldenkrise gebeutelten Landes begehrt gegen „brutale Sparpolitik“ auf. Protest in der Großbank.

Madrid. Mit Trillerpfeifen und Tröten stürmen etwa 30 Senioren in die Filiale der spanischen Pleite-Großbank Bankia in der spanischen Hauptstadt Madrid: Entrollen ein Transparent, auf dem steht: „Keinen Euro für die Rettung der Banken.“

Die grauhaarigen Bankbesetzer, die leuchtend gelbe Warnwesten übergezogen haben, skandieren: „Das ist keine Krise, sondern Betrug.“ Dann verlesen die Rentner ein Protestmanifest, in dem sie bekennen: „Wir kämpfen dafür, dass unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben.“

Überall im Krisenland Spanien spielen sich derzeit ähnliche Szenen ab: Pensionäre besetzen Geldinstitute, Behörden, Gesundheitszentren und Büros der Sozialversicherung.

Demonstrieren gegen die „brutale Sparpolitik“ der konservativen spanischen Regierung, welche zu immer härteren Kürzungen bei den Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Pflege, Renten und Familienförderung führen. Die alte Generation des südlichen Schulden-Euro-Staates, der auf die Zahlungsunfähigkeit zutreibt, ist aus dem Ruhestand zurückgekehrt und klettert auf die Barrikaden.

Sie nennen sich „yayoflautas“, was sich mit „Opa-Flöten“ übersetzen lässt. Sie sind entschlossen, den Mächtigen und Regierenden den Marsch zu blasen. „Sie haben wenig Verständnis für die milliardenschweren Hilfen, mit denen Staat und EU marode spanische Banken vor der Pleite bewahren. „Und wer hilft uns? Auch die Familien müssen gerettet werden.“

Die gleichen Banken, die nun am Rettungstropf hängen, haben bereits zehntausende Menschen aus ihren Wohnungen geklagt, weil die Bewohner ihre Hypotheken nicht mehr zahlen können. Massenarbeitslosigkeit, Steuererhöhungen und Einkommensverluste treiben immer mehr Spanier in die Armut.

Fast jede vierte Familie lebt unter der statistischen Armutsschwelle. Die öffentlichen und karitativen Suppenküchen schaffen es längst nicht mehr, all jenen eine warme Mahlzeit zu geben, die es nötig hätten.

„Wir können nicht tatenlos zusehen“, sagt die 65-jährige Pilar Goytre. „Wir sind auf dem Wege, alles zu verlieren.“ Überall werde die Schere angesetzt. „Wir Pensionäre müssen nun unseren Kindern beistehen“, pflichtet ein rüstiger Rentner bei. „Meine Tochter und ihr Ehemann haben ihre Jobs verloren.“ Mehr als 26 Prozent der aktiven Bevölkerung, annähernd sechs Millionen Menschen, sind arbeitslos. Bei den unter 25-Jährigen stehen sogar 56 Prozent auf der Straße.

Spaniens Rentnergeneration ist das wichtigste soziale Netz in Spanien, wo es kaum Hilfen vom Staat gibt. Auch wenn die Pensionäre bei einer monatlichen Durchschnittsrente von 835 Euro nicht auf Rosen gebettet sind, wäre ohne ihre Solidarität das Land längst zusammengebrochen: Senioren machen sich als Babysitter um ihre Enkel verdient.

Sie bieten ihren erwachsenen Kindern Asyl, wenn diese ihre Wohnung verlieren. Viele Alte schleppen mit ihrem Ruhegehalt Großfamilien durch. Aber sie wollen nicht nur lautlos helfen, sondern schreien auch auf. Es sieht ganz danach aus, als ob Spanien von seinen Senioren noch mehr hören wird.

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