Überladen und versenkt: Bis zu 700 Bootsflüchtlinge ertrinken vor Libyen

Zwei untergegangene Schiffe in wenigen Tagen: Eines davon sollen skrupellose Schlepper absichtlich zum Kentern gebracht haben.

Gerettete Flüchtlinge, deren Boot vor der Küste von Lybien gesunken ist.

Gerettete Flüchtlinge, deren Boot vor der Küste von Lybien gesunken ist.

Rom. Neue Flüchtlingstragödie und möglicherweise hundertfacher Massenmord im Mittelmeer: Beim Untergang von zwei mit Migranten überladenen Booten sind in den vergangenen Tagen vor der libyschen Küste bis zu 700 Menschen ums Leben gekommen. Eines der betroffenen Boote soll von skrupellosen Schleppern versenkt worden sein. Seit Jahresbeginn sind bei Unglücken mit Flüchtlingsbooten im Mittelmeer nach UN-Zahlen von Montag vermutlich 2500 Menschen ertrunken, davon 2200 allein seit Anfang Juni.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren an Bord des möglicherweise versenkten Flüchtlingsbootes mehr als 500 Menschen — vor allem Syrer, Palästinenser, Ägypter und Sudanesen. Das Schiff habe vor mehr als einer Woche im ägyptischen Hafen Damietta abgelegt.

Die Organisation beruft sich auf palästinensische Flüchtlinge, die am Samstag gerettet und nach Sizilien gebracht worden waren. Zwei Überlebende gaben an, dass Menschenschmuggler das Schiff versenkten, nachdem sich die Flüchtlinge geweigert hätten, auf hoher See in ein anderes Schiff umzusteigen.

Sollten sich die Angaben bestätigen, wäre dies nicht nur die größte Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer der vergangenen Jahre, sondern „ein Akt des Massenmords“, heißt es in dem IOM-Bericht. Bei dem bisher schwersten Unglück waren im Oktober des Vorjahres vor der italienischen Insel Lampedusa mehr als 300 Flüchtlinge ertrunken.

Ein weiteres Flüchtlingsboot war am Sonntag vor der libyschen Küste gekentert. Dabei kamen mehr als 160 Menschen ums Leben, wie die libysche Nachrichtenseite Al-Wasat unter Berufung auf die Marine des Landes berichtete. Nur 36 Schiffbrüchige seien gerettet worden. Das Unglück ereignete sich nahe der Hafenstadt Tadschura rund 20 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis.

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind in diesem Jahr rund 130 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen — mehr als doppelt so viele wie die 60 000 Bootsflüchtlinge des vergangenen Jahres. Allein in Italien trafen 118 000 Flüchtlinge ein. Die meisten seien von der italienischen Marine im Zuge ihrer Rettungsoperation Mare Nostrum auf dem offenen Meer in Sicherheit gebracht worden.

Die Organisation Pro Asyl forderte Italien auf, künftig auch vor der libyschen Küste schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten. „Wir appellieren an die italienische Regierung, ihre Seenotoperation ‚Mare Nostrum‘ fortzusetzen und auch in internationalen Gewässern sowie vor Libyens Küste Menschen aus Seenot zu retten“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. „Wir sind entsetzt, dass Hunderte Menschen quasi vor unseren Augen ertrinken.“

Derweil bemühen sich die EU-Staaten um eine gemeinsame Reaktion auf die steigenden Zahlen von Mittelmeer-Flüchtlingen und Todesopfern. „Europas Antwort müssen kollektive Anstrengungen sein“, forderte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres.

Das wären Maßnahmen, die sich mit Symptomen beschäftigen, sagte Hollywood-Schauspielerin und UN-Sonderbotschafterin Angelina Jolie nach einem Treffen mit geborgenen Schiffbrüchigen auf Malta: „Die Zahl von Flüchtlingen, die bei dem Versuch sterben, Schutz zu finden, wird weiter steigen, wenn wir uns nicht mit den Wurzeln jener Konflikte befassen, vor denen sie fliehen.“

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