Boris Palmer über die City-Maut: „Autos lassen zu wenig Raum für Menschen“

Politiker diskutieren über eine City-Maut in Deutschland. Tübingens Oberbürgermeister will diese nun einführen.

Tübingen. Angesichts fehlender Milliarden für die Modernisierung der Verkehrswege ist bei der Verkehrsministerkonferenz in Cottbus zuletzt eine Debatte über eine City-Maut für Autofahrer in deutschen Städten entbrannt. Baden-Württembergs Ressortchef Winfried Hermann (Grüne) sprach sich dafür aus, Kommunen das Recht zum Erheben von Gebühren zu geben.

Von Amtskollegen kam Widerspruch. NRW-Ressortchef Michael Groschek (SPD) bezeichnete die Debatte über eine City-Maut als „Ablenkungsmanöver“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lehnte eine City-Maut ab. Winfried Hermanns Parteifreund, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), will die Maut nun einführen.

Herr Palmer, was versprechen Sie sich von der City-Maut?

Boris Palmer: In vielen Städten haben wir wegen zu vieler Autos mit Stau, schlechter Luft, Lärm und Dreck zu kämpfen. Außerdem bleibt durch zu viele Fahrzeuge zu wenig Raum für Menschen. Deshalb sollte der Autoverkehr reduziert werden — und das geht am einfachsten, wenn man es über den Preis macht. Darüber hinaus braucht der öffentliche Nahverkehr in vielen Gemeinden neue Einnahmequellen, weil sich der Bund immer mehr aus der Finanzierung zurückzieht.

Sie wollen mit der Maut den öffentlichen Nahverkehr in Tübingen kostenlos machen — ist das Autoland Deutschland dazu bereit?

Palmer: Schauen wir doch mal nach Italien. Das wird auch immer als Autoland bezeichnet, und trotzdem haben dort schon ein Dutzend Städte Varianten der City-Maut erfolgreich eingeführt. In Deutschland dauert es vielleicht etwas länger, aber ich bin mir sicher, dass sich die Idee auch hier durchsetzen wird. Wir haben zu viele ungelöste Verkehrs-, Umwelt- und Ressourcenprobleme. Schon allein deshalb wird sich das Autofahren im 21. Jahrhundert reduzieren müssen.

Wie sollen Pendler, die beruflich aufs Auto angewiesen sind, das bezahlen?

Palmer: Ich denke, das ist ein vorgeschobenes Argument. Pendler bezahlen heute schon wesentlich mehr als einen Euro pro Tag — nämlich über die Benzinpreise und die hohen Haltungskosten. Der Reiz von gut motorisierten Autos und Alufelgen ist aber offensichtlich immer noch zu groß, sonst würden mehr Leute auf den günstigeren öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

Wenn so viel für eine City-Maut spricht, warum reagieren dann selbst Ihre Parteifreunde in der baden-württembergischen Landesregierung sehr zögerlich?

Palmer: Aussagen zur Automobilität führen immer zu heftigen Reaktionen. Das hat man gesehen, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesagt hat, wir bräuchten weniger Autos. Aber auch solche heißen Eisen muss man eben anpacken.

Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon sagt, dass in die dortige Innenstadt schon heute zwei Drittel ohne Auto kommen — auch ohne Maut.

Palmer: In Tübingen fahren sogar drei Viertel der Leute ohne Auto in die Innenstadt. Andererseits setzen sich drei Viertel der Einpendler ins Auto, wenn sie nach Tübingen kommen — auch weil das Einfahren umsonst ist. Schon der fast symbolische Preis von einem Euro würde da zu einem Umdenken führen.

Wann sind Sie zum letzten Mal mit dem Auto in die Tübinger Innenstadt gefahren?

Palmer: Privat gar nicht. Und da ich kein Dienstauto habe, kommt das da ebenfalls nicht in Betracht.

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