Das politische Programm der nächsten vier Jahre

Trotz ihres schwachen Wahlergebnisses konnte die SPD dem größeren Partner, der Union, so einiges abtrotzen.

Berlin. Sie haben gepokert, gerungen und wohl auch gefoult. Das alles ist auf 185 Seiten nachzulesen — im neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Wo hat sich der eine gegen den anderen durchgesetzt? Ein Überblick über die wichtigsten politischen Vorhaben der nächsten vier Jahre und ihre Bewertung:

„Zum 1. Januar 2015 wird ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für das ganze Bundesgebiet gesetzlich eingeführt“, heißt es im Koalitionsvertrag. Allerdings kann davon bis Ende 2016 abgewichen werden, wenn alte und neue Tarifverträge eine niedrigere Vergütung vorsehen. Laut SPD gibt es immerhin rund 40 entsprechende Tarifverträge, die für fast sieben Millionen Beschäftigte maßgeblich sind. Ab Januar 2017 ist dann aber Schluss mit den Extra-Würsten. Dann gilt der Mindestlohn „uneingeschränkt“ — außer bei ehrenamtlich Tätigen und Erntehelfern.

Ohne einen Mindestlohn von 8,50 Euro wollte die SPD keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. Dieser Punkt dürfte für Parteichef Sigmar Gabriel das stärkste Argument sein, um die schwarz-rote Ehe vor der Parteibasis zu rechtfertigen. Zumal es auch keine regionalen Ausnahmen gibt, wie es CDU und CSU wollten. Glatter Punktsieg also für die Genossen.

Weil keine Seite von ihren Geschenkideen lassen wollte, haben sich die Vorhaben auf diesem Feld zu Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe addiert. CDU und CSU bekommen ihre Mütterrente, die SPD die abschlagsfreie Rente mit 63, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, sowie die Ost-West-Rentenangleichung, allerdings erst 2020. Und alle zusammen die Mindestrente für Geringverdiener. Bei der Union firmierte sie unter „Lebensleistungsrente“, bei der SPD unter „Solidarrente“. Daraus geworden ist nun die „solidarische Lebensleistungsrente“ in Höhe von 850 Euro.

Die Rente mit 67, einst beschlossen wegen der demografischen Herausforderungen, wird durch das Vorhaben einer abschlagsfreien Rente mit 63 weiter ausgehöhlt. Auch unter Gerechtigkeitsaspekten macht sie wenig Sinn, weil dafür 45 Beitragsjahre notwendig sind. Wer die vorweisen kann, bekommt ohnehin eine vergleichsweise gute Rente. Unter dem Strich haben Union und SPD gleichermaßen gepunktet. Verloren hat die jüngere Generation, die die ganze Operation aktuell über einen Verzicht auf Beitragssenkung und langfristig über Beitragserhöhungen finanzieren muss.

Der Beitragssatz wird „spätestens“ Anfang 2015 um 0,3 und in einem zeitlich nicht näher definierten „zweiten Schritt“ um weitere 0,2 Prozentpunkte angehoben. Damit sollen dringend notwendige Leistungsverbesserungen finanziert werden. Zugleich ist der Aufbau eines „Pflegevorsorgefonds“ vorgesehen, um Beitragssteigerungen langfristig abzumildern.

Im Interesse aller Pflegebedürftigen haben Union und SPD hier weitgehend an einem Strang gezogen. Dass sich die Union allerdings mit ihrem Vorsorgefonds durchsetzen konnte, während sie gleichzeitig die üppigen Rücklagen der Rentenkasse plündert, ist mehr als zweifelhaft. Gut möglich, dass nach diesem Muster auch ihr Fonds irgendwann für zweifelhafte Geschenke missbraucht wird.

„Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang“, heißt es im Koalitionsvertrag. Damit entfällt die Vorschrift, wonach sich solche Personen bis spätestens zum 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen.

Auch wenn die SPD am liebsten alle hier lebenden Ausländer, also auch die nicht in Deutschland geborenen, einbezogen hätte, geht dieser Punkt klar an die Genossen. Ähnlich wie den Mindestlohn hatte Gabriel auch den Doppelpass zur schwarz-roten Sollbruchstelle erklärt. Verlierer ist die CSU, die den Doppelpass bekämpft hatte.

Die Maut soll kommen, aber nur, wenn sie „EU-rechtskonform“ ist und „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Ein Gesetz ist für 2014 vorgesehen.

Die CSU ist zwar des Lobes voll, dass ihr größter Herzenswunsch berücksichtigt wurde. Allerdings weiß keiner, wie die Maut unter den genannten Bedingungen umgesetzt werden kann. CDU und SPD sind darüber nicht böse. Das riecht nach einem versteckten Foulspiel.

Die Förderung von vier national bedeutsamen Kulturorten soll vorrangig geprüft werden. Dazu zählt neben Romantikmuseum in Frankfurt, dem Schaumagazin für Künstlernachlässe in der Abtei Brauweiler und dem Residenzschloss Dresden auch das Internationale Tanzzentrum Pina Bausch in Wuppertal.

Eine Unterstützung kann helfen, die dauerhafte Aufführung der Stücke von Pina Bausch in Wuppertal sicherzustellen.

Gemessen an ihrem schlechten Wahlergebnis hat die SPD gegenüber der Union auf Augenhöhe verhandelt. Besonders in der Arbeitsmarktpolitik und bei der Rente trägt der Vertrag die Handschrift der Genossen. Die Maxime von CDU und CSU, keine Steuern zu erhöhen, bleibt allerdings genauso unangetastet wie das Betreuungsgeld. Diese Kröten musste die SPD schlucken.

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