Heiner Geißler: „Der Kapitalismus ist gescheitert“

Interview: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler fordert eine Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft.

Düsseldorf. Herr Geißler, freuen Sie sich eigentlich über die Finanzkrise?

Geißler: Ob ich mich freue? Nein, darüber kann ich mich nicht freuen.

Aber Sie können sich doch bestätigt fühlen. Sie haben immer wieder vor negativen Folgen der Globalisierung gewarnt.

Geißler: Ich sage seit etwa zehn Jahren, dass es so nicht weitergehen kann.

Wer hat denn versagt: Die Bankmanager oder die Politik?

Geißler: Es waren die Wirtschaftswissenschaften, es war die Politik - aber vor allem ist die Krise das Ergebnis einer Ideologie, die verstärkt worden ist durch den Zusammenbruch der Planwirtschaft in der DDR. Damals wurde die These ausgegeben: Der Kapitalismus hat gesiegt. Das war natürlich ein historischer Irrtum. Aber man hat geglaubt, man müsse jetzt nur alle Zügel lockern, und dann würde schon alles von selbst besser werden, weil man über den Markt alle Probleme lösen kann.

Ist denn der Kapitalismus gescheitert oder nicht vielmehr der ungezügelte Kapitalismus der vergangenen Jahren?

Geißler: Der Kapitalismus ist gescheitert. Er wird ja so definiert, dass ihm alles, auch die gesamte Politik, zu dienen hat. Wir haben eine totale Ökonomisierung unserer Gesellschaft. Aber das kann nicht richtig sein. In Wirklichkeit muss das Kapital dem Menschen dienen, und es hat der Wirtschaft und den Unternehmen zu dienen. Früher haben die Banken den Unternehmen Geld zur Verfügung gestellt, damit diese investieren konnten. Heute bestimmen die Kapitalmärkte, wie die Unternehmen betriebswirtschaftlich arbeiten sollen. Das ist ein Diktat der Kapitalmärkte über die Realökonomie. Dieses Diktat muss beseitigt werden.

Und wie?

Geißler: Durch eine Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft, die erfolgreichste Wirtschafts- und Sozialphilosophie, die wir jemals hatten. Sie steht für den geordneten Wettbewerb im Gegensatz zum Kapitalismus, der grenzenlose Marktwirtschaft ist. Wir müssen den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft, dass alle, auch die Finanzmärkte, Regeln einhalten müssen, auf die globale Wirtschaft übertragen. Das Konzept, das wir brauchen, heißt internationale öko-soziale Marktwirtschaft.

Die Politiker haben uns in den vergangenen Jahren erzählt, dass ihnen durch die Globalisierung die Hände gebunden sind.

Geißler: Natürlich ist an dem Argument etwas richtig gewesen: Die Wirtschaft arbeitet global, während die Politik weiterhin national aufgestellt ist, bestenfalls europäisch. Es ist klar, wer da am längeren Hebel sitzt. Nun kann man die Globalisierung nicht rückgängig machen. Deshalb muss sich die Politik internationalisieren. Dies geschieht jetzt. Wir brauchen internationale Lösungen, und diese müssen vor allem von den europäischen Industriestaaten vorangetrieben werden - gemeinsam mit den USA, aber auch mit den Chinesen und den Indern.

Das heißt, der geplante G-8-Gipfel unter Einbeziehung der Schwellenländer ist der richtige Schritt?

Geißler: Das ist ja nur ein Verfahren. Wichtig wird sein, wie die Lösungen aussehen, und da werden die Meinungen weit auseinandergehen. Deshalb muss Deutschland mit einem Konzept in diese Verhandlungen gehen.

Wenn Sie dieses Konzept mit erarbeiten könnten - was wären die wichtigsten Forderungen?

Geißler: Wir brauchen einen Finanzmarkt-Tüv, um die Produkte des Finanzmarktes zu prüfen. Dann brauchen wir eine Börsenumsatzsteuer, wenn man die Spekulationen eindämmen will. Mit dem Geld könnten wir die Milleniumsziele der Vereinten Nationen finanzieren, die Armut auf der Welt bekämpfen. Dann müssen sich die Bezüge der Unternehmensvorstände orientieren an langfristigen Erfolgen: Sie dürfen nicht selbst zu Spekulanten werden, indem ein Teil ihrer Vergütung in Aktien ausbezahlt wird. Die Bankenaufsicht muss entscheidend verbessert, die Steueroasen müssen geschlossen werden. Und die Banken müssen einen selbstfinanzierten Krisenfonds aufstellen, damit sie Ausfälle in einer neuen Krise selbst auffangen können.

Glauben Sie denn, dass der Druck jetzt wirklich so groß ist, damit sich die Staaten auf solche Regeln einigen?

Geißler: Die Chancen sind sehr gewachsen. Das beste Beispiel ist Großbritannien, das bisher der größte Bremser war und nun in der Krise die drastischsten Maßnahmen ergreift.

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