Angela Merkel - die Allgegenwärtige ohne Schlaf

Sie reist von Gipfel zu Gipfel, ihre Nächte haben oft nur drei Stunden — dennoch richtet Kanzlerin Angela Merkel ihren Blick beim CDU-Parteitag auf eine dritte Amtszeit.

Berlin. Gleich kommt die Kanzlerin. Aber vorher sagt Elke Weber noch, dass die Menschen im Allgemeinen Veränderung nicht mögen. Weber ist Wirtschaftspsychologin und beschäftigt sich an der Columbia-Universität in New York mit dem Beharrungsvermögen des Homo Sapiens.

Zweifel? Ein kleiner Test für das ausgewählte Publikum bei der „Falling Walls Conference“ in Berlin, bei der jeder einzelne froh ist, einen Sitzplatz ergattert zu haben.

Nun mögen bitte alle aufstehen, verlangt Weber, jetzt, da die Kanzlerin jede Minute eintrifft. Die Geräuschkulisse schwillt an. Und nun mögen bitte alle im Saal umher laufen. Keiner rührt sich. Bloß jetzt nicht den Sitzplatz riskieren. Experiment geglückt.

Dann kommt Angela Merkel. Auch dafür hat sie noch Zeit. In Krisenzeiten wie diesen. Eine Rede bei der „Falling Walls Conference“ am Jahrestag des Mauerfalls, wo Wissenschaftler aus aller Welt über künftige Durchbrüche in Wissenschaft und Gesellschaft diskutieren.

Es geht um Notwendigkeiten, um Wandel, um Veränderung. Merkel ist gerne gekommen. Die promovierte Physikerin fühlt sich Lehre und Forschung seit ihrer Zeit an der damals ostdeutschen Akademie der Wissenschaften verbunden.

Sebastian Turner, Kuratoriumsvorsitzender der Falling-Walls-Stiftung, wundert sich über die Omnipräsenz seines Gastes. Wann immer er in diesen Tagen den Fernseher einschaltet, sieht er diese Frau.

Merkel ist überall. EU-Gipfel Brüssel, G-20-Gipfel Cannes, Koalitionsgipfel Berlin, Eröffnung der Ostsee-Gaspipeline Lubmin. Fast sehe es so aus, als besuche sie jeden Tag 40 Staatschefs. Merkel lächelt verschmitzt.

Vor kurzem hat sie gesagt: „Als Bundeskanzlerin gehe ich mit der Lebenseinstellung durch die Welt, dass ich jederzeit erreichbar, jederzeit arbeitsbereit sein muss.“ Eine Auszeit? „Im Sommer hatte ich immerhin Urlaub“, sagt die Frau, die in diesen Zeiten allzu oft mit nicht mehr als drei oder vier Stunden Schlaf auskommen muss.

Dass Merkel eines Tages Kanzlerin sein würde, konnte die Tochter eines evangelischen Pfarrers noch vor etwas mehr als 20 Jahren in der DDR nicht einmal träumen. Doch in der Politik ist es wie im Leben: Es kommt häufig anders als man denkt. Ihr Leben wurde die Politik.

Merkel gilt heute als mächtigste Frau der Welt. In der schwarz-gelben Koalition lernte sie die Kunst der Dauermoderation. Aber mit dem neuen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler soll es unkomplizierter laufen. Merkel will Schwarz-Gelb bis 2013 über die Ziellinie tragen.

Und dann? Vielleicht geben die Wähler Merkel den Auftrag für eine dritte Amtszeit. Daraus, dass sie diese anstrebt, macht die Kanzlerin keinen Hehl. „Ich kann sagen, mir macht meine Arbeit Spaß“, sagt sie in einem Interview der Mediengruppe Madsack.

Nach Schwarz-Rot und jetzt mit Schwarz-Gelb stellt die CDU-Chefin ihre Partei breiter auf. Wehrpflicht-Ende, Atom-ausstieg, das dreigliedrige Schulsystem beerdigt, einen Mindestlohn im Visier. Wie hatte Merkel bei der „Falling Walls Conference“ gesagt?

Die Überschuldung einiger EU-Staaten sei „ein augenfälliges Beispiel für ein Denken, das einfach kein Morgen kennt.“ Merkel denkt an Morgen. Sie sagt, eine Gemeinschaft, die sich nicht ändern wolle, „wird nicht überleben“. Aber sie weiß: Veränderungen brauchen Zeit. In der Partei, im Land, in Europa.

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