Berliner Flughafen-Chaos weitet sich aus

Berlin (dpa) - Zum Chaos um den geplanten Berliner Großflughafen kommt jetzt auch noch Ärger mit Brüssel. Möglicherweise müssen die vorgesehenen Flugrouten neu geprüft werden, weil die Folgen für Natur und Umwelt nach Ansicht der EU nicht untersucht wurden.

Das Bundesverkehrsministerium reagierte dennoch gelassen. „Es gibt keine Versäumnisse in dieser Hinsicht“, sagte ein Sprecher. Die politische Führungskrise bleibt derweil ungeklärt.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ist als potenzieller neuer Aufsichtsrats-Chef weiter umstritten. Der scheidende Vorsitzende des Kontrollgremiums, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), muss an diesem Samstag ein Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus überstehen.

Im Flugrouten-Streit empfiehlt das Umweltressort der EU-Kommission einem internen Vermerk zufolge, gegen Deutschland vorzugehen. Nach einer Änderung der Routen habe es keine neue Umweltverträglichkeitsprüfung gegeben, so der Vorwurf. Das verstoße gegen europäisches Recht. Laut Bundesverkehrsministerium aber ergibt sich aus den EU-Richtlinien im Verfahren zur Festlegung von Flugrouten keine Pflicht zu einer solchen Prüfung. Es handele sich bei den „Flugverfahren“ nicht um Projekte im Sinne der Richtlinien, teilte das Ministerium mit. Diese Auffassung sei der EU im vergangenen September mitgeteilt worden.

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) hatte die Routen am 26. Januar 2012 festgelegt. Sie führen über die Seenlandschaft an Berlins Südrand - was die Anwohner auf die Barrikaden trieb. Die Bürgerinitiative Rangsdorf, die die Beschwerde bei der EU 2011 eingereicht hatte, fürchtet neben Lärm und Abgasen, dass auf den Strecken mehr Vögel in die Turbinen geraten. Jetzt würden ihre Bedenken endlich ernst genommen, sagte der Vorsitzende Robert Nicolai am Freitag. Grund zum Jubeln gebe es aber noch nicht.

„Die Umweltverträglichkeit der Auswirkungen des Flugbetriebs - auch im weiteren Umkreis des Flughafens - ist in der Planfeststellung geprüft worden“, sagte BAF-Direktor Nikolaus Herrmann der Nachrichtenagentur dpa. „Diese Prüfung war Grundlage für die Festsetzung der Flugverfahren.“ Eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung habe es danach nicht mehr gegeben.

Wowereit - noch Aufsichtsratschef des Flughafens - steht wegen der vierten Verschiebung des Eröffnungstermins unter enormem Druck. Er will den Chefposten im Kontrollgremium an Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) abgeben. Im Abgeordnetenhaus will die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten den Berliner Regierungschef mit einem Misstrauensvotum an diesem Samstag stürzen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass dies gelingt, da die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU ihm nach längerer Diskussion ihr Vertrauen ausgesprochen haben - und die Abstimmung namentlich erfolgt, Abweichler also identifizierbar wären.

Zu einer Lösung der Führungskrise nach der erneuten Absage des Flughafen-Starts soll auch die Besetzung des Aufsichtsrats mit Experten beitragen. Es sei aber noch keine Entscheidung gefallen, ob das Gremium deshalb ausgeweitet werde, sagte der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. Der als neuer Aufsichtsrats-Chef vorgeschlagene Ministerpräsident Platzeck will am Montag im Brandenburger Landtag die Vertrauensfrage stellen. Es gilt als sicher, dass er durchkommt.

Am Mittwoch soll dann die Spitze des Aufsichtsrates neu besetzt werden. Kritik kam von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Es wäre klüger, wenn „ein fachlich ausgewiesener Unabhängiger“ die Aufgabe übernehmen würde, sagte er der „Welt“ (Samstag). Der Linke-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich dagegen forderte: „Politiker dürfen sich gerade jetzt nicht aus dem Aufsichtsrat zurückziehen.“

Der Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus setzte derweil seine Arbeit zur Aufklärung des Flughafen-Debakels am fort. Es wurden Zeugen zur Standortentscheidung für den Flughafen in den 1990er Jahren gehört. Dabei sei deutlich geworden, dass die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Geschäftsführung der Flughafengesellschaft schon damals problematisch war, erklärte der Grünen-Abgeordnete Andreas Otto.

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