Causa Drygalla sorgt für Disharmonie in Sport und Politik

Berlin/London (dpa) - Gegenseitige Anschuldigungen und widersprüchliche Aussagen - die Causa Nadja Drygalla sorgt nicht nur bei den deutschen Ruderern für Disharmonie.

Hans Sennewald, Vorsitzender des Landesruderverbandes Mecklenburg-Vorpommern, hat erstmals den Darstellungen des Dachverbandes widersprochen, wonach dieser erst bei den Olympischen Spielen in London Erkenntnisse über das private Umfeld der Achter-Frau erhalten habe.

„Fakt ist: Ich habe geschildert, dass Nadja zum 30. September 2011 aus der Sportfördergruppe der Landespolizei ausgeschieden war“, sagte Sennewald am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa über ein Gespräch mit Mario Woldt, Sportdirektor im Deutschen Ruderverband, beim Frühjahrstest in Köln.

„Ich habe Herrn Woldt in diesem Gespräch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Innenministerium die weitere Beschäftigung Nadjas wegen ihres Freundes und seiner Umtriebe für problematisch gehalten hat, denn es war für mich wichtig, dass Herr Woldt die Hintergründe von Nadjas Ausscheiden aus der Sportfördergruppe der Landespolizei kannte“, betonte Sennewald. Die DRV-Spitze hatte bisher bestritten, vor der olympischen Regatta von der Beziehung der Rostockerin zum früheren NPD-Landtagskandidaten Michael Fischer gewusst zu haben.

Woldt bestätigte der dpa auf Anfrage, dass in Köln „Gespräche auch über Nadja Drygalla geführt“ worden seien. „Dabei ist aber nur über sportliche und finanzielle Dinge, nicht jedoch über politische Dinge gesprochen worden“, sagte der DRV-Sportdirektor am Dienstag. „Ich wundere mich, dass Herr Sennewald im Wissen um die mögliche Tragweite dieser Geschichte nicht den Vorstand des Deutschen Ruderverbandes informiert hat.“

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Polizeidienst hatte Drygalla zum Zeitpunkt des Frühtests ein Beschäftigungsverhältnis beim Landesverband bis zum 30. Juni 2012. „Daraufhin hat Mario Woldt den Vorschlag gemacht, den Antrag auf Aufnahme in die Sportfördergruppe der Bundeswehr zu stellen. Dies ist in der Folge geschehen“, sagte Sennewald. Dieser Antrag liegt derzeit nach DRV-Angaben auf Eis.

Sennewald sei „positiv überrascht“ gewesen, dass Woldt in Drygallas Ausscheiden aus dem Polizeidienst kein Hindernis gesehen habe. Er habe dies noch in Köln einem Vorstandsmitglied und in den nächsten Tagen auch den übrigen Vorständen in seinem und Drygallas Verein, dem Olympischen Ruderclub Rostock, mitgeteilt. „Die Betreffenden werden dies bestätigen“, sagte Club-Vize Sennewald.

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) wies unterdessen Vorwürfe zurück, er habe den Sportverbänden Informationen zum Privatleben von Drygalla vorenthalten. Diese seien im Bilde gewesen, betonte er.

Die Ereignisse der vergangenen Tage haben Drygalla bewogen, sich einen Anwalt zu nehmen. „Wir werden zeitnah nach den Olympischen Spielen das Gespräch mit dem Deutschen Ruderverband suchen“, sagte der Anwalt Rainer Cherkeh am Dienstag. „Dabei sollte es dann um die sportliche, aber vor allem auch um die berufliche Zukunft der Athletin gehen.“

Drygalla war am vergangenen Freitag nach einem Gespräch mit der deutschen Teamleitung über ihre Beziehung zu Fischer freiwillig von den Sommerspielen in London abgereist. Am Sonntag hatte sie sich öffentlich deutlich von der rechten Szene distanziert.

Nicht nur auf sportlicher Ebene wird über den Fall Drygalla kontrovers diskutiert. So fordert die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns klare Richtlinien von Sport und Politik für die Anforderungen an deutsche Olympiateilnehmer. „Und wir sind der Meinung, dass eine Beziehung allein nicht reicht, sondern dass es auf den Menschen selbst ankommt, was er getan hat“, sagte Regierungschef Erwin Sellering (SPD) am Dienstag nach einer Kabinettssitzung in Schwerin.

Im Bundesinnenministerium gibt es bereits seit Ende 2011 Überlegungen, in die Förderrichtlinien für Spitzensportler ein „Demokratiebekenntnis“ aufzunehmen. Das habe aber nichts mit der aktuellen Diskussion zu tun, sagte ein Sprecher. Berichte, die einen solchen Zusammenhang herstellten, müssten insofern „ausdrücklich dementiert“ werden.

„Das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung ist für uns und unsere Mitgliedsorganisationen eine pure Selbstverständlichkeit, die auch in unseren Satzungen niedergelegt ist“, sagte der Chef de Mission des deutschen Olympia-Teams, Michael Vesper, am Dienstag in London.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hatte sich am Montag in London kritisch zum Umgang mit der Ruderin geäußert. Im Fall Drygalla sei eine Grenze überschritten. Auch Caffier äußerte Bedenken: „Die Frage ist berechtigt. Hat die Öffentlichkeit das Recht, dass wir das gesamte Umfeld von Menschen in Spitzenfunktionen ausleuchten, dass wir Gesinnungsschnüffelei machen? Wir sagen: Nein.“

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