Die Macht der kleinen Gewerkschaften

Die Koalition will die Macht kleiner, aber kampfstarker Organisationen beschränken.

Mit einem Urteil vom Juni 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht kleine Gewerkschaften gestärkt.

Mit einem Urteil vom Juni 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht kleine Gewerkschaften gestärkt.

Foto: dpa

Berlin. Ein Großbetrieb — ein Tarifvertrag. Das war einmal. Heute heißt es: Wenn 20 000 gewerkschaftlich straff organisierte Lokführer es wollen, steht das Mammutunternehmen Deutsche Bahn mit seinen mehr als 400 000 Beschäftigten still. Aber nicht nur die Lokführer sitzen heute am Schalthebel der Macht. Auch Flugzeug-Piloten, Krankenhausärzte und andere kleinere, aber einflussreiche Berufsgruppen haben sich zu schlagkräftigen Spartengewerkschaften zusammengeschlossen und in separaten Tarifverhandlungen manche Sonderprivilegien ertrotzt.

Rechtlich abgesichert werden wirkungsvolle Streiks — wie unlängst die dreitägige Arbeitsniederlegung der Lufthansa-Piloten — durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom Juni 2010. Die Richter ließen darin mehr Vielfalt bei Tarifverträgen und mehr Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften zu. Gleichzeitig erteilten sie dem jahrzehntelang hochgehaltenen Grundsatz „Ein Betrieb — ein Tarifvertrag“ eine Absage.

Vier Regierungsressorts — Arbeit, Innen, Justiz und Wirtschaft — arbeiten derzeit an Vorschlägen für eine Gesetzesänderung, um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Tarifeinheit (siehe Kasten) durchzusetzen.

Doch davor steht zum einen das im Grundgesetz verbriefte Streikrecht wie auch die „Koalitionsfreiheit“ der Arbeitnehmer. Das heißt: Das Recht der Beschäftigten, sich in einer Gewerkschaft ihrer Wahl zu organisieren. Doch was ist eine Gewerkschaft wert, die keine Tarifverträge aushandeln oder diese gar mit Streiks erzwingen kann?

Verfassungsexperten geben zu bedenken, dass die Väter des Grundgesetzes bei der Formulierung der „Koalitionsfreiheit“ damals eine andere, noch nicht so spezialisierte Berufswelt vor Augen hatten. Großunternehmen der sogenannten Daseinsvorsorge, wie Bahn und Post, aber auch kommunale Krankenhäuser, waren im Staatsbesitz — und ihre Beschäftigten häufig verbeamtet. Erst die Privatisierung dieser Unternehmen hat Aufkommen und Macht der kleinen Spartengewerkschaften bestärkt.

Zugleich agiert das Arbeitgeberlager heute längst nicht mehr so einheitlich wie früher: Die „Tarifflucht“ großer Betriebe aus den Arbeitgeberverbänden, die Verlagerung ganzer Produktionsbereiche in viele Sub-Unternehmen — das alles hat zur weiteren Zerschlagung der alten Tarifeinheit in der Bundesrepublik beigetragen.

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