Energiewende wird konkret

Gutachter bescheinigen Projekt Fortschritte, mahnen aber zu mehr Tempo beim Netzausbau. Trassenverlauf soll ab 2014 feststehen.

Berlin. Die Energiewende funktioniert — aber es muss noch erheblich nachgesteuert werden, damit sie wirklich gelingt. Viele positive Entwicklungen bescheinigte sich die Bundesregierung am Mittwoch selbst in ihrem ersten Jahresbericht zum Stand dieses Großvorhabens.

Er beruht auf den Zahlen des Jahres 2011. Vier externe Gutachter, die diesen Bericht prüften, bestätigten zwar in ihrer Stellungnahme das meiste, gossen aber auch Wasser in den Wein des Selbstlobs.

Dass inzwischen acht Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, merkt man nicht. Allerdings ist, so der Vorsitzende der Expertenkommission, Andreas Löschel, das System „auf Kante genäht“. Zwar sei der kommende Winter wohl sicher, doch müsse das Thema „sehr schnell angegangen werden“.

Problem ist, dass noch die Fernleitungen fehlen, um vor allem den Windstrom zu den Verbrauchszentren im Süden und Westen zu leiten. Gestern beschloss das Kabinett einen Plan für den Bau von drei insgesamt rund 2800 Kilometer langen „Stromautobahnen“ von Nord nach Süd. Davon führt eine durch den Niederrhein. Der Bau wird aber dauern. Die genauen Trassenverläufe sollen erst ab 2014 festgelegt werden.

Der Gesamtenergieverbrauch ist 2011 trotz Wirtschaftswachstums um 4,9 Prozent gesunken. Vor allem wegen des milden Wetters. Auch beim Strom gab es einen Rückgang von 1,5 Prozent. Zu den Zielen der Regierung gehört jedoch eine Absenkung des Gesamtenergieverbrauchs um zehn Prozent bis 2020, und das wird schwer. Um durchschnittlich nur 1,4 Prozent wurde nämlich die Energieproduktivität seit 2008 verbessert, 2,1 Prozent müssten es jährlich sein.

Die Wissenschaftler mahnten an dieser Stelle deshalb, dass das Tempo „noch erheblich gesteigert“ werden müsse. Vor allem bei der Energieeinsparung an Gebäuden und im Verkehr. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) konterte mit dem Hinweis, dass die SPD-Länder die steuerliche Absetzbarkeit von energiesparenden Investitionen an Gebäuden im Bundesrat blockiert haben. Außerdem habe der Bund ersatzweise die eigenen Förderprogramme um 300 Millionen auf 1,8 Milliarden Euro jährlich angehoben.

Hier liegt man voll im Plan. 18 Prozent aller Energie soll bis 2020 aus Wind, Sonne und Biomasse kommen. 12,1 Prozent waren schon 2011 erreicht. Und beim Strom, wo die Zielvorgabe 35 Prozent bis 2020 lautet, liegt man aktuell schon bei einem Anteil von 25 Prozent. Der Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien haben zudem dazu beigetragen, dass Deutschland seine Klimaschutzziele, bis 2020 minus 40 Prozent im Vergleich zu 1990, wohl erreichen wird.

Aktuell liegt man bei einem CO2-Rückgang von 26,4 Prozent. Aber die erneuerbaren Energien liefern nicht kontinuierlich Strom und sind schwer in ein auf ständige Stabilität ausgerichtetes Netz zu integrieren. Außerdem kostet ihre Förderung sehr viel, vor allem die Photovoltaik. Rösler und Umweltminister Peter Altmaier (CDU) kündigten am Mittwoch gemeinsam an, dass sie im März Reformvorschläge machen wollen. Doch gehen ihre Pläne noch weit auseinander. Parallel beschloss das Kabinett, Ausnahmen für stromintensive Firmen zu prüfen.

Steigende Energiekosten beruhen fast allein auf den explodierenden Preisen für fossile Energieträger wie Öl und Gas. Sie haben dafür gesorgt, dass die jährlichen Energiekosten etwa für einen Vier-Personen-Haushalt seit 1998 von knapp unter 3000 Euro auf leicht über 4000 Euro gestiegen sind, sieben statt vier Prozent des Nettoeinkommens.

Bei den Strompreisen hat zwar die EEG-Umlage etwas preistreibend gewirkt, doch gab es auch gegenläufige Tendenzen. Insgesamt, so die Gutachter, wurde 2011 genauso viel für Strom aufgewendet wie 20 Jahre zuvor, nämlich 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Inflationsbereinigt stiegen die Strompreise seit 1998 von 19 auf etwa 23 Cent je Kilowattstunde.

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