Wulff muss wegen Vorteilsnahme vor Gericht

Hannover (dpa) - Der frühere Bundespräsident Christian Wulff kommt wegen Vorteilsnahme im Amt vor Gericht. Der Prozess gegen das ehemalige Staatsoberhaupt könnte am 1. November beginnen, wie das Landgericht Hannover am Dienstag mitteilte.

Die Staatsanwaltschaft hatte Wulff ursprünglich wegen Bestechlichkeit angeklagt, diesen Vorwurf stufte das Gericht nun nach mehrmonatiger Aktenprüfung aber herunter.

Es ist das erste Mal, dass sich ein ehemaliges Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vor Gericht verantworten muss. Die zuständige 2. Große Strafkammer um Richter Frank Rosenow hatte ihre Entscheidung den Anwälten bereits in einer 14-seitigen Stellungnahme mitgeteilt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sind zunächst 16 Verhandlungstage für die Dauer von acht Wochen angesetzt.

Der Filmproduzent David Groenewold hatte einen Teil der Kosten für einen Oktoberfestbesuch des Ehepaars Wulff 2008 in München übernommen: rund 750 Euro. Wulff, damals niedersächsischer CDU-Ministerpräsident, wusste davon nach eigenen Angaben nichts. Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass Groenewold Wulff motivieren wollte, für eines seiner Filmprojekte um Geld zu werben. Das tat Wulff einige Wochen später auch.

Die Staatsanwaltschaft hatte im April Wulff wegen Bestechlichkeit angeklagt und Groenewold wegen Bestechung. Das Gericht minderte die Vorwürfe aber auf Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung. Damit sinkt auch das drohende Strafmaß im Falle einer Verurteilung: Für Vorteilsnahme sieht das Strafrecht bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe vor, für Bestechung dagegen bis zu fünf Jahre Haft.

Zur Herabstufung der Vorwürfe erklärte das Gericht, dass eine Bestechlichkeit mit einer Verletzung von Dienstpflichten bei einer Diensthandlung zusammenhängt. Bei Vorteilsnahme geht es dagegen darum, dass ein Vorteil bei der Dienstausübung angenommen wird. Dabei ist es egal, ob pflichtwidrig gehandelt wird oder nicht. Es sei ausreichend, dass der Vorteil „allgemein inhaltlich mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft und damit geeignet ist, den bloßen Anschein der Käuflichkeit zu erwecken“.

Wulffs Verteidiger Bernd Müssig sagte der dpa in Hannover: „Die Entscheidung des Landgerichts, so wie sie getroffen wurde, ist natürlich nicht das Ziel der Verteidigung gewesen.“ Bemerkenswert sei aber, dass das Gericht die Entscheidung in seiner 14-seitigen Begründung wörtlich als „Grenzfall“ bezeichnet habe. „Nach Ansicht des Gerichtes ist ein Freispruch nach Aktenlage genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung“, ergänzte Anwalt Michael Nagel. Der erhobene Vorwurf der Bestechung sei damit vom Tisch. Die Kennzeichnung als Grenzfall zeige vielmehr, „wie dünn die Luft für die Staatsanwaltschaft ist“.

Die Staatsanwaltschaft wertete die Verfahrenseröffnung dagegen als Bestätigung ihrer Arbeit: Dies zeige, dass aufgrund der sorgfältig geführten Ermittlungen hinreichender Tatverdacht wegen eines Korruptionsdelikts bestehe. „Der hinreichende Tatverdacht definiert sich so, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung überwiegen muss“, sagte Staatsanwalt Hans-Jürgen Lendeckel der dpa. Der Vorwurf sei somit keineswegs vom Tisch. Zudem hätte öffentliche Anklage erhoben werden müssen, nachdem Wulff und Groenewold im April das Angebot der Staatsanwaltschaft, dem drohenden Prozess gegen Zahlung einer Geldauflage zu entgehen, abgelehnt hätten.

Groenewolds Verteidiger reagierten enttäuscht: „Die Verteidigung bedauert, dass sich das Landgericht Hannover nur zu einer Herabstufung der Vorwürfe entscheiden konnte und nicht, wie beantragt, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat“, sagte Rechtsanwalt Bernd Schneider.

Wulff selbst äußerte sich erneut nicht persönlich zur Entscheidung des Gerichts. Sollten sich die Juristen jedoch auf den 1. November einigen, wird er sich dann spätestens selbst zu Wort melden müssen. Nagel: „Er muss vor Ort sein, das ist gesetzlich vorgeschrieben.“

Die Anklageerhebung ist der vorläufige Höhepunkt in der seit mehr als 19 Monaten andauernden Wulff-Affäre, die mit Berichten über einen 500 000-Euro-Privatkredit für Wulffs inzwischen verkauftes Eigenheim in Großburgwedel bei Hannover begonnen hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte am 16. Februar 2012 infolge von Medienberichten den Antrag auf Aufhebung der Immunität des damaligen Bundespräsidenten gestellt. Daraufhin war dieser einen Tag später von seinem Amt zurückgetreten.

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