Frauen in der Pflegefalle - Millionen klagen über Belastungen

Berlin (dpa) - Immer mehr Menschen in Deutschland pflegen unter großen persönlichen Opfern ihre Eltern oder Partner. Schon heute gibt es laut einer neuen Studie 10 Millionen Menschen mit einem Pflegefall in der Familie.

In den kommenden rund zehn Jahren dürften es mit 27 Millionen fast drei Mal so viele sein.

Das bedeutet körperliche und psychische Überlastung für einen Großteil der Bundesbürger. Das geht aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der R+V Versicherung hervor.

„Unsere Gesellschaft läuft im Eiltempo auf die Pflegefalle zu“, sagte das Vorstandsmitglied der R+V Krankenversicherung, Tillmann Lukosch.

15 Prozent der Bundesbürger geben darin an, pflegebedürftige Angehörige zu haben. 25 Prozent rechnen damit in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Die Zahl der Menschen mit Leistungen aus der Pflegeversicherung liegt deutlich darunter. Sie steige in den kommenden Jahren von heute nur 2,46 auf 3,4 Millionen. Viele kümmerten sich zunächst nicht um Leistungen aus der Pflegeversicherung, sagte die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher.

Pflege findet vor allem in der Familie statt. 62 Prozent der Deutschen, die pflegebedürftige Angehörige haben, kümmern sich selbst um die Betreuung. Zwei Drittel der rund 6 Millionen Pflegenden sind Frauen. Mehr als ein Drittel der pflegenden Frauen wiederum kümmere sich allein um die Pflege. Mobile Pflegedienste nehmen 40 Prozent in Anspruch; sonst werden sie vor allem durch Partner, Kinder oder Geschwister unterstützt. Von pflegenden Frauen mit Unterstützung machen immer noch 64 Prozent fast alles oder das meiste selbst.

Die Herausforderung Pflege geht nicht spurlos an den Betroffenen vorüber. „Die psychische Belastung wird von den Frauen stärker betont, als die psychische Belastung“, sagte Köcher. 67 Prozent der pflegenden Frauen fühlen sich stark oder sehr stark psychisch, 46 Prozent stark oder sehr stark körperlich belastet. Frauen, die einen Partner mit Demenz pflegen, hätten ein zwölffach höheres Risiko, selbst dement zu werden, sagte Lukosch.

Für viele dreht sich zunehmend alles um die Pflege. Eine typische Pflegende ist laut der Studie 61 Jahre alt, hat zwei erwachsene Kinder und ist nicht berufstätig. „Für viele ist das eine Aufgabe, die einen Großteil des eigenen Lebens prägt“, sagte Köcher. „Die Hälfte der pflegenden Frauen pflegt schon länger als drei Jahre.“ 9 Prozent tun dies bereits länger als zehn Jahre. Mehr als drei Stunden pro Tag verbringen damit 53 Prozent der Frauen. 44 Prozent haben es mit einem sehr schweren oder schweren Pflegefall zu tun. Insgesamt sagten 76 Prozent der Bundesbürger, dass Pflege und Beruf nicht gut zu vereinbaren sind.

Die Pflege geht mit oft bohrenden Sorgen einher. 69 Prozent der pflegenden Frauen sorgen sich über die weitere Entwicklung der Situation. 57 Prozent fürchten, dass sie künftig die Pflege nicht mehr schaffen. Vor allem die vielen älteren Frauen, die ihren Mann pflegen, haben Ängste. „Die über 70-Jährigen muss man verstärkt unterstützten“, forderte Köcher. Viele hätten Angst vor einer Eskalation der Situation.

Die Pflegeversicherung deckt die Kosten im Schnitt nur zum kleineren Teil. So gab Lukosch die bleibende Lücke bei der ambulanten Pflege schwerer Fälle mit 1950 Euro pro Monat an. 1550 Euro kämen von der Pflegekasse. Lediglich 1,9 Millionen Menschen hätten bisher eine Pflegezusatzversicherung abgeschlossen. Positiv wertete er hier die 2013 startende staatliche Förderung von im Monat fünf Euro bei einem Mindestbetrag von zehn Euro („Pflege-Bahr“). 88 Prozent der pflegenden Frauen erwarten von der Politik mehr Unterstützung.

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