Geheimdienste sind eng vernetzt

Jüngste Enthüllungen erhöhen den politischen Druck auf die Regierung von Angela Merkel.

Berlin. Wenn Michael Hayden sieht, wie überrascht deutsche Politiker auf die Enthüllungen über die US-Ausspähaktionen reagieren, fühlt er sich an großes Kino erinnert:

„Das ist wie in dieser Filmszene aus ,Casablanca’, in der Polizeichef Renault informiert wird, dass in Rick’s Café Glücksspiel stattfindet“, spottet der frühere NSA-Chef.

Dazu muss man wissen, dass der korrupte Renault selbst Stammgast bei Rick ist. Als er sich gezwungen sieht, den Laden zu schließen, lässt er sich noch rasch seinen Gewinn in die Hand drücken.

Was wussten, was wissen die Verantwortlichen in Deutschland tatsächlich von dem gigantischen Überwachungsprogramm des amerikanischen Inlandsgeheimdienstes NSA, das seit Wochen weltweit für Empörung sorgt? Und inwieweit haben sie mitgemischt? Am Wochenende kam es in der Nähe mehrere US-Einrichtungen in Deutschland zu Protesten von Aktivisten, die die Bespitzelung anprangern.

Wenn man den Berichten glauben darf, ging die Kooperation weit. Sehr weit. Der „Spiegel“ enthüllt unter Berufung auf Papiere aus dem Archiv des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sogar selbst eine Spähsoftware namens „XKeyscore“ der NSA verwenden — und damit eines der ergiebigsten Schnüffelwerkzeuge der USA selbst nutzen. Von den monatlich rund 500 Millionen Datensätzen aus Deutschland, auf die die NSA Zugriff habe, soll ein großer Teil von „XKeyscore“ erfasst werden.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte das wenig freuen. Sie hat bisher stets versichert, die Regierung habe von den Ausspähaktionen der NSA nichts gewusst. Noch am Freitag hat sie die USA aufgerufen, auf deutschem Boden deutsches Recht einzuhalten.

Auch wenn Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Wochenende eilig versicherte, seine Behörde teste die fragliche Spähsoftware zwar, setze sie aber „derzeit“ nicht ein — feststeht, dass die deutschen Geheimdienste weitaus enger mit den US-Kollegen kooperieren als bekannt.

Unbestritten ist, dass die Zusammenarbeit schon nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine neue Qualität bekam. Damals regierte in Deutschland Rot-Grün, SPD-Kanzler Gerhard Schröder sicherte den Vereinigten Staaten „uneingeschränkte Solidarität“ zu. Wie die Zusammenarbeit danach aussah, schildert der damalige NSA-Chef Hayden, der kurz nach den Attentaten persönlich zu einem Treffen mit den Geheimdienstkollegen nach Europa reiste, jetzt im ZDF.

„Wir waren sehr offen zu unseren Freunden. Nicht nur in Deutschland, aber dort fand das Treffen statt. Wir haben ihnen dargelegt, wie die Bedrohung aussah. Wir waren sehr klar darüber, was wir vorhatten in Bezug auf die Ziele, und wir baten sie um ihre Kooperation“, sagte Hayden.

Diese sei auch zugesagt worden. Und sie funktioniert bis heute, so Hayden: „Ohne dass ich da in spezifische Details gehe: Es gibt eine breite Zusammenarbeit zwischen befreundeten Nachrichtendiensten, ja.“

Im Klartext: Die Kooperation mit den US-Geheimdiensten wurde in der Regierungszeit von Rot-Grün massiv ausgeweitet, dies wurde von allen Regierungen fortgesetzt. Insofern dürfte tatsächlich viel Schauspielkunst dabei sein, wenn sich Regierung und Opposition nun gegenseitig mit Vorwürfen überziehen.

Für Merkel jedoch ist die Sache so kurz vor der Wahl gefährlicher als für die Opposition: Kann sie sich darauf verlassen, dass die deutschen Geheimdienste tatsächlich mit offenen Karten spielen und nicht ständig neue Details ans Licht kommen? „Casablanca“ hatte am Ende immerhin den Beginn einer „wunderbaren Freundschaft“. In der NSA-Affäre ist die nicht in Sicht.

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