Immer mehr Arbeitslose fallen direkt in Hartz IV

Berlin (dpa) - Immer mehr Arbeitnehmer bekommen nach dem Verlust ihres Jobs kein Arbeitslosengeld, sondern werden sofort zu Hartz-IV-Empfängern. Zwischen 2008 und 2011 lag der Zuwachs nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bei 18,7 Prozent.

Der Grund für den Absturz in die Grundsicherung: Die Betroffenen waren innerhalb der letzten zwei Jahre vor ihrer erneuten Arbeitslosigkeit nicht mindestens zwölf Monate lang sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Während 2008 noch 621 000 Menschen diese Voraussetzung nicht erfüllten, waren es 2011 bereits gut 736 800. Jeder vierte neue Arbeitslose wurde demnach 2011 sofort Hartz-IV-Empfänger, vier Jahre zuvor war es nur jeder fünfte, wie aus dem DGB-Positionspapier hervorgeht, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zuerst hatte die Tageszeitung „Die Welt“ darüber berichtet. „Ein absolut wie prozentual steigender Anteil der Beschäftigten hat unmittelbar bei Eintritt der Arbeitslosigkeit keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld, auch wenn sie zuvor Beiträge gezahlt haben.“

Den Grund sieht der DGB in der „Instabilität vieler Arbeitsverhältnisse“. Betroffen sind meist Geringqualifizierte und Leiharbeiter. „Die Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld von einem Jahr Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren sind für sie zu hoch“, kritisiert der DGB.

Für den Sprecher des Bundesarbeitsministeriums, Jens Flosdorff, wird in den Zahlen dagegen eine positive Entwicklung sichtbar: Auch Langzeitarbeitslose mit geringer Qualifikation fänden inzwischen Arbeit, hätten aber natürlich auch ein größeres Risiko, wieder in Hartz IV zurückzufallen. „Das zeigt, dass Bewegung im Arbeitsmarkt ist, und das ist gut“, sagte Flosdorff auf dpa-Anfrage. Die Regel: „Einmal Hartz IV - immer Hartz IV“ gelte so nicht mehr. Allerdings nähere man sich nun „dem harten Kern der Langzeitarbeitslosigkeit“.

Diesen gibt die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit etwa 400 000 Menschen an. Sie sind seit Start der Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt vor gut sieben Jahren im Hartz-IV-System. Doch die BA sieht gute Chancen, den harten Kern schwer vermittelbarer Langzeitarbeitsloser um mindestens 100 000 auf rund 300 000 zu verringern. „Wenn der Arbeitsmarkt weiterhin so gut funktioniert, wird das allein schon 100 000 weniger Langzeitarbeitslose bringen“, sagte BA-Vorstand Heinrich Alt der Nachrichtenagentur dpa am Wochenende.

Der DGB fordert wie SPD, Linke und Grüne, für die zunehmende Zahl kurzfristig Beschäftigter die Hürden in der Arbeitslosenversicherung zu senken. Für SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil zeigen die Zahlen die Notwendigkeit einer „neuen Ordnung am Arbeitsmarkt“. Linke-Chef Klaus Ernst forderte, prekäre Beschäftigung teurer zu machen und die Arbeitgeber mit doppelten Sozialbeiträgen zu belasten. Die Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Brigitte Pothmer, plädiert für die Zahlung von Arbeitslosengeld schon nach vier Monatsbeiträgen.

Derzeit müssen Beschäftigte innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens zwölf Monate einzahlen, um sechs Monate Arbeitslosengeld zu erhalten. SPD, Linke und DGB fordern, Beitragszeiten dafür künftig während der zurückliegenden drei Jahre zu berücksichtigen. Der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel sprach sich gegen ein „Herumdoktern an der Arbeitslosenversicherung“ aus und warb für eine bessere Qualifikation der Betroffenen.

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