Lieberknecht: Sind NSU-Opfern weitere Aufklärung schuldig

Erfurt (dpa) - Thüringen geht hart ins Gericht mit seinen Ermittlungsbehörden, die das spätere NSU-Trio ziehen ließen. Eine Sondersitzung des Landtags wird zum Plädoyer für schonungslose Aufklärung - nicht nur in Thüringen.

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Die Verbrechen der Neonazi-Terrorzelle und die Fehler der Ermittlungsbehörden müssen nach Ansicht von Landtag und Regierung weiter aufgeklärt werden. Das sei die Voraussetzung, um der Vertrauenskrise zu begegnen, „in die uns das Versagen der Behörden gestürzt hat“, sagte Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) am Freitag in einer Sondersitzung des Landtags.

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Die Regierungschefin bat die Opfer der Terrorzelle NSU, deren mutmaßliche Haupttäter aus Thüringen stammen, um Verzeihung.

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„Beschämt muss ich den Angehörigen von Opfern und den Verletzten des Nagelbombenanschlags in Köln bekennen: Unser Land, unsere Gesellschaft, unsere Behörden haben versagt“, sagte Lieberknecht in der Sondersitzung, in der der Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses debattiert wurde. Sie sprach von Scham und Trauer und bat um Vergebung.

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Im Beisein von Angehörigen der Opfer und Diplomaten aus deren Herkunftsländern Griechenland und Türkei gedachten die Abgeordneten der Menschen, die bei den Anschlägen ermordet oder verletzt worden waren. Jahrelang war es nicht gelungen, die wahren Hintergründe der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) mit zehn Toten sowie der Sprengstoffanschläge in Köln zu erkennen und die Täter dingfest zu machen.

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Thüringens Ermittler hatten 1998 nicht verhindert, dass die späteren mutmaßlichen Terroristen für Jahre untertauchen konnten und erst 2011 aufflogen. „In Thüringen - und das ist die bittere Wahrheit, mit der wir uns zu beschäftigen hatten - hat das spätere Unheil seinen Lauf genommen“, sagte die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD). Die weitere Aufklärung dürfe nicht vor Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden haltmachen, forderte sie.

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Der bereits am Donnerstag vorgelegte NSU-Bericht wirft den Ermittlungsbehörden systematisches Versagen vor. Zudem wird der Verdacht geäußert, die Verfolgung der rechten Terrorzelle könnte sabotiert worden sein, weil der Verfassungsschutz V-Leute aus der rechten Szene schützen wollte. Vor einigen Wochen hat der Landtag eine Reform des Verfassungsschutzes beschlossen.

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Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer und ihre Angehörigen, Barbara John, forderte personelle Konsequenzen bei Ermittlungsbehörden. „Wenn jemand seine Dienstvorschriften nicht beachtet, sie missachtet oder sie einfach ignoriert, dann muss zumindest der Versuch gemacht werden, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte John in Erfurt. Bislang sei kein einziges Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Das sei für die Familien der Opfer vollkommen unverständlich.

Den Thüringer NSU-Bericht bezeichnete John als vorbildlich. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, der ebenfalls die Debatte verfolgte, bescheinigte dem Landtag, mutig vorangegangen zu sein. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland lobte die Arbeit des Ausschusses und forderte auch andere Landesparlamente auf, solche Gremien zur Aufklärung einzurichten — allen voran in Baden-Württemberg.

Özdemir plädierte nicht nur für einen Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg, wo die aus Thüringen stammende Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen wurde, sondern auch eine Neuauflage des Bundestagsausschusses. Das Versprechen der Politik an die Angehörigen der Opfer, dass die Taten vollständig aufgeklärt würden, sei noch nicht erfüllt, sagte er.

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