Machtwechsel in Thüringen möglich - SPD siegt in Brandenburg

Erfurt/Potsdam (dpa) - Nach mehr als zwei Jahrzehnten CDU-Dominanz könnte in Thüringen bundesweit erstmalig ein Linke-Politiker Ministerpräsident werden.

Machtwechsel in Thüringen möglich - SPD siegt in Brandenburg
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Laut vorläufigem Ergebnis der Landtagswahl vom späten Sonntagabend ist ein historischer Machtwechsel zu Rot-Rot-Grün unter Führung von Bodo Ramelow möglich - aber auch eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition mit CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht.

Die Regierungsbildung hängt von der SPD ab - trotz ihres Debakels mit dem schlechtesten Ergebnis in Thüringen. Dagegen bleiben in Brandenburg die seit 1990 regierenden Sozialdemokraten mit Dietmar Woidke an der Macht und können sich ihren Juniorpartner aussuchen - wie bisher die Linke, oder aber die CDU.

Wie schon vor zwei Wochen in Sachsen zieht die eurokritische AfD auch in Erfurt und Potsdam aus dem Stand mit Spitzenergebnissen in die Parlamente ein. Die Grünen schafften den Wiedereinzug in beide Landtage. Die FDP verabschiedet sich aus den letzten ostdeutschen Parlamenten. Die Wahlbeteiligung lag bei enttäuschenden 52,7 Prozent in Thüringen und sogar nur 47,9 Prozent in Brandenburg.

In Thüringen kam die seit der Wende ununterbrochen regierende CDU dem vorläufigen Ergebnis zufolge auf 33,5 Prozent. Die Linkspartei fuhr 28,2 Prozent ein, die SPD 12,4 Prozent. Die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) schaffte 10,6 Prozent, die Grünen lagen bei 5,7 Prozent. Die FDP erzielte nur 2,5 Prozent. Damit sind die Liberalen, die 2013 erstmals aus dem Bundestag flogen, nur noch in 6 der 16 Länderparlamente vertreten. Die rechtsextreme NPD kam auf 3,6 Prozent. Daraus ergibt sich folgende Sitzverteilung im Erfurter Landtag: CDU 34, Linke 28, SPD 12, AfD 11, Grüne 6. Nach diesem Ergebnis wären sowohl ein Regierungswechsel zu Rot-Rot-Grün als auch die Bestätigung von Schwarz-Rot knapp möglich (je 46 zu 45 Sitze).

In Brandenburg erreichte die seit 1990 regierende SPD als Wahlsieger laut vorläufigem amtlichem Endergebnis 31,9 Prozent und lag knapp unter dem Niveau von 2009. Die mitregierende Linkspartei sackte deutlich auf 18,6 Prozent ab und fiel hinter die CDU zurück, die auf 23,0 Prozent zulegte. Die AfD fuhr aus dem Stand 12,2 Prozent ein. Die Grünen kamen auf 6,2 Prozent, die FDP auf 1,5 Prozent. Die NPD erreichte 2,2 Prozent. Die Mandate verteilen sich wie folgt: SPD 30, CDU 21, Linke 17, AfD 11, Grüne 6, Freie Wähler 3 (ein Direktmandat und zwei Mandate gemäß Stimmenanteilen).

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte am Abend mit Blick auf mögliche Bündnisse in Thüringen und Brandenburg: „Welche Koalitionen die bilden, das müssen die vor Ort entscheiden.“ Er hatte seinen Parteifreunden in Thüringen schon vor der Wahl freie Hand gelassen: Sollte die SPD als Juniorpartner in eine Koalition mit der Linken eintreten, sei das ohne Signalwirkung für die Bundestagswahl 2017.

CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht und der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, sahen einen klaren Regierungsauftrag für ihre Partei. Die Thüringer CDU will der SPD bereits an diesem Montag Sondierungsgespräche anbieten.

Linke-Spitzenkandidat Ramelow zeigte sich am Abend angesichts des besten Ergebnisses seiner Partei bei Landtagswahlen optimistisch, einen Machtwechsel hinzubekommen. Linkspartei-Chefin Katja Kipping sagte: „Wir haben ein so gutes Ergebnis erzielt, das ist ein klarer Regierungsauftrag für uns - wenn es denn Mehrheiten gibt.“

Thüringens SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert ließ am Abend keine Präferenzen erkennen: „Es bleibt dabei, dass wir eine Koalitionsentscheidung erst nach Sondierungsgesprächen treffen“, sagte sie in Erfurt. „Wenn wir Einladungen von mehreren möglichen Partnern bekommen, werden wir die Einladung annehmen.“ Entscheidend sei, mit wem die SPD möglichst viele ihrer Inhalte umsetzen könne. Die Grünen zeigte sich offen für Gespräche über Rot-Rot-Grün. Wegen der knappen Mehrheiten ist auch Schwarz-Rot-Grün eine Option.

In Potsdam will die Linke ihre Koalition mit der SPD unter Ministerpräsident Woidke fortsetzen, die CDU strebt Rot-Schwarz an. Woidke ließ offen, mit wem er künftig regieren will: „Ich habe heute schon beiden Sondierungsgespräche angeboten.“

Der Umgang mit den Eurokritikern von der erstarkten AfD führte am Wahlabend zu einer Kontroverse der Berliner Koalitionspartner. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hielt der Union vor, daran Schuld zu tragen. „Die unklare Linie der Union hat die AfD erst salonfähig gemacht.“ CDU-Generalsekretär Peter Tauber erwiderte, die Auseinandersetzung mit der AfD sei eine Herausforderung für alle Parteien und nicht nur für die CDU. Die AfD ist nach Sachsen (9,7 Prozent) nun in drei Länderparlamenten vertreten. Sie war bei der Bundestagswahl vor einem Jahr noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und hatte bei der Europawahl im Mai mit 8,5 Prozent bereits FDP und Grüne überflügelt.

In Sachsen war vor zwei Wochen die regierende CDU als stärkste Partei bestätigt worden, sie braucht aber nach dem Ausscheiden der FDP einen neuen Koalitionspartner. Die Regierungsbildung in den drei ostdeutschen Ländern könnte auch Auswirkungen auf den Bundesrat haben. Wenn die schwarz-rote Koalition in Thüringen Bestand hätte und sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen ein Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten zustanden käme, hätte die große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dort eine Gestaltungsmehrheit. Gesetzesvorhaben der schwarz-roten Bundesregierung kämen damit leichter durch die Länderkammer. Bisher hat sie nur 27 von 69 Stimmen, im besten Falle wären es künftig 35.

Nach einer Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen würde ein Bündnis aus CDU und SPD in Thüringen auf die größte Zustimmung treffen: 43 Prozent fänden das gut. Rot-Rot-Grün bewerteten 39 Prozent positiv. Vor die Wahl gestellt, würden knapp zwei Drittel der SPD-Anhänger eine Neuauflage der schwarz-roten Koalition dem Novum einer Linke-geführten Regierung vorziehen. In Brandenburg ist hingegen laut Forschungsgruppe keine eindeutige Präferenz für eine bestimmte Koalition erkennbar. Für ein SPD-geführtes rot-rotes Bündnis sprechen sich 44 Prozent aus, für eine Koalition aus SPD und CDU 43 Prozent.

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